Resilienz und Widerstand – Was wir von der ukrainischen Zivilgesellschaft lernen können (live)
Shownotes
Bereits seit 2014 trägt die ukrainische Zivilgesellschaft entscheidend zum Widerstand des Landes gegen den russischen Angriffskrieg bei. Ihr Mut, ihre Kreativität und ihr Durchhaltevermögen sind dabei beispielgebend für andere Zivilgesellschaften in Deutschland und Europa. Von welchen Erfahrungen in der Ukraine und der Diaspora können wir hierzulande lernen? Wie stärken wir das gesellschaftliche Bewusstsein darüber, dass der Krieg in seinen hybriden Formen längst eine europäische Dimension hat? Und was braucht es, um gemeinsam in Europa widerstandsfähiger zu werden?
Darüber diskutierten am 30.10.2025 Alona Karavai, (Kuratorin und Kulturmanagerin), Nataliya Pryhornytska (Politikwissenschaftlerin und Fachreferentin bei der Stiftung EVZ) und Dr. Franziska Davies (Osteuropahistorikerin am ZZF Potsdam) mit unserem Podcasthost Ira Peter (freie Journalistin und Podcasterin) im Publix in Berlin.
Links aus dieser Podcastfolge: • EVZ-Förderprogramm YeMistechko - ein Ort für alle in der Ukraine • EVZ Förderprogramm local.history • Kunstraum Assortymentna kimnata
Sie haben Feedback, Anregungen oder Kritik? Schreiben Sie uns an standwithukraine@stiftung-evz.de
Idee: Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)
Konzeption und Moderation: Ira Peter
Produktion: speak low, Berlin.
Transkript anzeigen
Jingle: Trümmer und Träume. Zivilgesellschaft für die Ukraine. Ein Podcast der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Live aus dem Publix in Berlin.
Ira Peter: Herzlich Willkommen zur fünften Folge des Podcasts Trümmer und Träume. Zivilgesellschaft für die Ukraine. Gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Mein Name ist Ira Peter. Ich darf heute Abend moderieren und Sie durch den Abend geleiten. In diesem Podcast sprechen wir mit Menschen, die inmitten von Krieg, Trauma und Umbruch daran arbeiten, dass die Ukraine eine freie und demokratische Zukunft hat. In den bisherigen Folgen haben wir MuseumsleiterInnen, Geflüchtete Menschen oder Aktivistinnen gehört, die zum Beispiel selbst dann für Umweltschutz kämpfen, wenn Bomben auf ihre Städte fallen. Von Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen wiederum haben wir erfahren, dass Erinnerungsarbeit auch oder gerade in Zeiten der Zerstörung geleistet werden muss. Heute in der fünften Folge ist etwas besonders, wir sind nicht im Studio wie sonst, sondern live vor Publikum in Berlin und wir widmen uns einem Thema, das gerade in vielen Ländern, vor allem aber in der Ukraine zentral ist. Resilienz und Widerstand. Gemeinsam mit unseren drei Gästinnen werden wir erfahren, was die ukrainische Gesellschaft nach Jahren des Krieges zusammenhält. Wie wir in Deutschland von ihr lernen können und vor allem was wir jetzt tun sollten, um nicht nur die Freiheit der Ukraine zu verteidigen, sondern auch die unsere zu erhalten. Ich freue mich sehr, heute drei Frauen begrüßen zu dürfen, die das Thema Resilienz und Zivilgesellschaft nicht nur analysieren, sondern leben und ich fange ganz rechts von ihrer Sicht aus mit der Vorstellung an mit Alona Karavai. Sie ist mehrfach ausgezeichnete Kuratorin und Kulturmanagerin. Sie stammt aus Donetsk und lebt heute in Kiew. Seit Jahren schafft sie zusammen mit KollegInnen immer wieder neue Kulturorte, die KünstlerInnen Schutz geben, aber auch Austausch mit der Bevölkerung ermöglichen. Von Alona erfahren wir, wie Kultur selbst zu einem Akt des Widerstands werden kann. Und welche Sicherheitsmaßnahmen Deutsche aktuell treffen sollten. Willkommen, Alona. Franziska Davies ist promovierte Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und eine der wichtigsten Stimmen, wenn es darum geht, Russlands Angriffe auf seine Nachbarstaaten zu verstehen. Ihre Bücher, darunter Die Ukraine in Europa, Traum und Trauma einer Nation, machen eins deutlich. Die Stärke der ukrainischen Gesellschaft wurzelt in ihrer Geschichte. Was wir an dieser Geschichte verstehen müssen, das wird sie uns heute erklären. Herzlich willkommen, Dr. Franziska Davies. Und zu meiner Linken, Nataliya Pryhornytska, sie ist Politikwissenschaftlerin und Fachreferentin für Ukraine-Themen bei der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Zudem ist sie Mitgründerin der Nicht-Regierungsorganisation Open Platform und Allianz ukrainischer Organisation. Außerdem ist sie Mit-Herausgeberin des Buches Ukraine im Fokus – Propaganda erkennen, Fakten verstehen. Welche russische Narrative besonders hartnäckig sind, das erzählt sie uns heute und ich heiße auch dich herzlich willkommen. Ja, Nataliya, ich bleibe direkt bei dir. Du bist ja mit 16 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Und wenn du zurückdenkst an diese Zeit, wie wurde denn damals über dein Herkunftsland gesprochen und was hat sich an diesem Bild seit 2022 geändert?
Nataliya Pryhornytska: Ukraine war 2005 ein Terra incognita. Man wusste, das ist irgendwo im Osten, im sogenannten Ostblock, und aber so richtig, was das ist, was das für ein Land ist, wusste man eigentlich nicht. So war mein Eindruck auch in der Schule damals. Und dabei ist es eigentlich interessant, dass die Erfahrung von Berlin aus nach Rom ist es eigentlich weiter als von Berlin nach Lviv. Wenn man die Fluglinie betrachtet. Das war alles sehr neu, als ich das auch in der Schule meinen Kameraden erzählt habe und das hat sehr lange gedauert, bis diese Erkenntnis auch ankam, auch in einer kleineren Gruppe. Zum Wandeln, seit Beginn des Krieges war die Ukraine mehr in den Medien, präsent, aber unter einem sehr besonderen Licht. Man hat die Revolution der Würde, also davor den Euromaidan gesehen und Dadurch, dass es sehr wenig Wissen über die Ukraine gab, war es sehr leicht, bestimmte Narrative in die Gesellschaft zu transferieren. In den acht Jahren des Russischen Krieges bis 22 war mehr Wissen denn vorhanden, aber trotzdem sehr polarisiertes Wissen. Für die Ukraine haben oft Menschen gesprochen, die nicht einmal in der Ukraine gewesen sind oder kannten das Land nicht, aber hatten die Ukraine aus anderen Perspektiven kennengelernt, aus der sehr Russland-zentristischen Perspektive. Und das ist der große Nachteil und auch ganz wichtig auch für die Stiftung und Stiftungsauftrag, die Länder des östlichen Europas differenzierter zu betrachten. Und ich glaube, das ist auch ein Punkt, der nach 22 leider aufgrund dieser krassen Ereignisse doch dieser Wandel stattgefunden ist, dass Menschen jetzt mehr wissen, wo die Ukraine geografisch verortet ist und dass es auch gar nicht so weit weg von Deutschland ist. Und dennoch sind sehr viele Bilder präsent, die den Krieg zeigen. Ich mache mir das auch zur Aufgabe, mehr über die Ukraine zu erzählen und das Bild von meiner Heimat zu zeigen, dass sehr vielfältig ist, dass sehr viel Deutschland und die Ukraine verbindet, dass die Ukraine eine sehr große europäische Kultur ist und ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg.
Ira Peter: Glaube ich auch. Und du hast ja auch einige MitstreiterInnen an deiner Seite und eine von ihnen sitzt auch heute mit auf der Bühne. Alona, ich frage dich als Nächstes. Du bist ja in Donetsk geboren, hast auch deine ersten Lebensjahre verbracht. Wann kam denn für dich der Moment, an dem du wusstest, das hier ist Krieg und nichts wird mehr so vorher.
Alona Karavai: Ja, das ist eine gute Frage. Schönen guten Abend an alle und ich freue mich hier in diese Frauengesellschaft, mich austauschen zu können. Ich habe hier die Fragen von dir so vor drei Tagen bekommen und ich habe lange danach gedacht und ich dachte, okay, gab es einen Moment und einen Moment gab es nicht. Das ist ... Das ist so ein Prozess, du wartest immer wieder, ok, jetzt kommt ein Wendepunkt und dann ist es alles ganz anders, aber Realität ist so, die Veränderungen kommen nach und nach und nach und du merkst gar nicht oder du merkst, also du merkst schon, aber die kommen dann in eine Welle und ich weiß immer noch nicht, ob es für mich jetzt ganz anders ist. Ob dieser Moment gekommen ist, obwohl da auch diese Punkte gab, aber das ist für mich dann auch so ein Erkenntnis. Der Krieg hat viel früher angefangen, als ich den Krieg bemerkt habe oder als wir den Krieg bemerkt haben. Und im Nachhinein, als ich darüber nachgedacht habe, habe ich diese Anzeichen nachträglich bemerkt. Meine Tochter ist in Donetsk geboren, Ich bin Internet-Gedit geboren. Und ich war von 2014 bis 2017 in Berlin, nachdem der Krieg in der kleineren Phase, Proxy-Phase, nicht großflächigen Phase, kleinflächigen Phase angefangen hat und ich war so Proxy-Flüchtling hier. Wir wurden damals nicht so genannt, aber das ist so irgendwie, oder Proto-Flüchtlinge waren wir hier. Und da war ich in Berlin, diese drei Jahre, und wenn ich über diese drei Jahre nachdenke, ich kann mich erinnern, ich war voll von Schuldgefühlen damals hier, weil ich habe mir, ich habe versucht, in meinem Kopf diesen Punkt zu finden, wo der Krieg angefangen hat. Weil es kann ja nicht sein, dass es so in einem Frühling passiert ist. Ich habe ja mehrmals, also oder mehrere Jahre, wir haben an Kulturprojekten gearbeitet. In den ersten Jahren von der Öffnung von Isolazie involviert, von diesem Zentrum für Contemporary Art. Und an einen Stellen hatte ich das Gefühl, oh, wir haben hier so ein Paradies, es ist so alles ganz anders, es sind andere Leute da. Und dann an einem Tag ist es doch nicht so. Und da habe ich wirklich so lange Zeit verbracht, um zu verstehen, wann hat es angefangen. Weil es hat früher angefangen. Und diesen Punkt... Das kann ich noch nicht sagen, aber es hat früher angefangen und ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass es ganz anders ist, obwohl ich jetzt in Kiew lebe und das Leben ganz anders aussieht.
Ira Peter: Ja, für die meisten Menschen in Deutschland hat der Krieg erst mit der Großinvasion im Februar 22 begonnen. Und ich weiß, noch kurz vorher, noch 2021 wurde über einen Bürgerkrieg in der Ukraine berichtet. Auch auf Zeit Online und anderen Medien. Das hat mich immer so wahnsinnig wütend gemacht. Frau Davies, Sie und Ihre Kolleginnen aus der Wissenschaft, Sie betonen immer wieder, dass der Krieg in der Ukraine in alten imperialen Denkmustern wurzelt. Warum ist denn dieser historische Blick in diesem Zusammenhang so wichtig?
Franziska Davies: Deswegen wichtig, und das hängt mit dem zusammen, was meine Vorrednerinnen gesagt haben, dass die Ursachen dieses Krieges teilweise bis heute falsch dargestellt werden. Also sehr oft, es ist ja das Ironische, wenn dann Kreml-Apologeten und Apologetinnen, die aber oft als Experten und Expertinnen präsentiert werden, anfangen von der Vorgeschichte dieses Krieges zu erzählen, dann meinen sie meistens die NATO, so als hätte das irgendwas mit diesem Krieg zu tun. Und wenn man den historischen Blick hat, dann erkennt man sehr einfach die Muster, in denen dieser Krieg sich bewegt und wer heute einfach nur, oder nicht nur heute, sondern auch schon seit vielen Jahren, einfach nur zuhört, was die russische Staatsführung, aber auch die russischen Propagandisten und Propagandisten auch natürlich große Teile der russischen Gesellschaft über diesen Krieg erzählen und man die Geschichte der ukrainisch-russischen Beziehung ein bisschen erkennt, dann hört man das 19. Jahrhundert. Dann hört man diese Erzählung, die im 19. Jahrhundert geboren ist. Die Ukraine und Russland, das ist ein Volk, das ist eine Nation. Und die Geschichte der kolonialen Dominanz Russlands geht natürlich noch weiter zurück. Aber diese spezielle ideologische Erzählung zwischen Russen und Ukrainern und Belarusern besteht kein Unterschied. Wir sind alle eine Nation. Ist eine Reaktion gewesen im 19. Jahrhundert auf die Entstehung einer modernen ukrainischen Nationalbewegung. Also auf die Entstehung, was sozusagen auch normal ist. Es gibt ja auch mal diese Tendenz, irgendwie die Geschichte der Ukraine zu exotisieren. Also das moderne Nationalbewegung im 19. Jahrhundert am Fahrtgewinn ist auch typisch für die europäische Geschichte. Ukraine ist dafür ein Beispiel. Und die russische Gesellschaft, der russische Staat reagiert eben. Mit dieser Erzählung, es gibt keine eigene ukrainische Sprache, es gibt keine eigene ukrainische Nation, es gibt keine Ukrainer und Ukrainerinnen und das ist ja genau das, was wir heute hören. Das ist eins zu eins diese Ideologie und die wird aber eben kombiniert mit den genozidalen Methoden des 20. Jahrhunderts und ohne Russland und russischen Kolonialismus zu verstehen, versteht man auch den Krieg nicht.
Ira Peter: Natalia, du beschäftigst dich ja auch mit Narrativen, mit Propaganda aus Moskau. Jetzt haben wir einige gehört, dass die Geschichte vollkommen anders dargestellt wird. Welche Narrative sind so aus deinen Erfahrungen besonders hartnäckig darüber hinaus und wie kann man diese entkräftigen, also wie begegnest du solchen Erzählen?
Nataliya Pryhornytska: Franziska hat einige gerade genannt und das sind sehr starke Narrative, die du, Franziska, gerade angesprochen hast. Also die Ukraine als Nation ist ein Konstrukt oder die Sprache ist eine abgewandelte Mischung aus, weiß ich nicht, unterschiedliche Versionen. Gibt es dazu polnischem und russischem? Also nichts, was über die Eigenständigkeit des Landes spricht. Die Kultur ist ein starker Mythos, dass die Ukraine eigentlich auch nicht so wirklich eigenständig existiert. Und natürlich, je nach Kontext, geht es darum, wenn es um die NATO-Ostererweiterung geht. Diesen Narrativen begegnet man auch heute sehr oft, auch in öffentlichen Diskussionen, dass es gesagt wird, naja, das war ja eine Reaktion Russlands auf das Bestreben der Ukraine über die NATO-Ostererweiterung. Und ich stimme dir, Franziska, da absolut zu, ohne die Geschichte, ohne den Kontext nicht zu kennen, ohne das verorten zu können, ist das nicht möglich, das nachzuvollziehen. Und wie man dem entgegenwirken kann, das ist eine gute Frage. Mit dem Buch haben wir versucht, in sehr zugänglicher Art diese Mythen zu entmüten, also zu entkräftigen und wir haben Fachexpertinnen und Experten eingeladen, darüber Texte zu verfassen, kurze Texte. Die auch zum Beispiel in den Schulklassen leicht zugänglich sind, über die man diskutiert. Ich bin aber mittlerweile der Meinung, es ist vielleicht auch nicht so produktiv, die Mythen nochmal zu replizieren, sondern primär soll es darum gehen, neue Narrative zu schaffen. Also es soll darum gehen, mehr über die Ukraine einfach zu erzählen. Was ist das für ein Land? Und diese Narrative prägen dann die Diskussion, ohne die alten zu wiederholen. Weil... So funktioniert die menschliche Psyche, dass es wahrscheinlich einfach nie so produktiv ist, das Alte zu replizieren. Nun haben wir das Buch und das ist trotzdem, nennen wir es, als Schnellhilfe für, um die Ukraine etwas besser zu kennen und etwas besser zu verstehen. Und ein Traum, eine Vision davon wäre natürlich, wir arbeiten gerade auch an der zweiten Auflage, dass es auch den Bildungsbereich erreicht. Also dass es zugänglich ist, dass man vielleicht das als Grundlage für Lehrkräfte benutzen kann. Und genau, dass man die Themen setzt und über die diskutiert. So kommt man weiter. Ja, gerne, Frau Davis.
Franziska Davies: Ergänzung? Ich will dem eigentlich nur zustimmen. Also es war auch eine Erfahrung, wahrscheinlich die ersten zwei Jahre nach der Vollinvasion, dass sehr, sehr viele Medienanfragen waren, warum stimmt das, was Putin über die Ukraine sagt, nicht. Und dann sitzt man da und wiederholt eben diese ganzen Propagandaerzählungen, um sie dann zu widerlegen. Und dann passiert eben genau das, was Natalia sagt. Und das zweite ist eben, man hat eben auch praktisch keine Zeit mehr. Für andere Aspekte aufzugreifen, die vielleicht auch wichtiger wären, als diese längst, also man müsste ja eigentlich nur russische Staatsfernsehen schauen, um zu wissen, dass das Quatsch ist, dass die NATO schuld ist. Aber das Zweite ist auch, dass dann immer noch das Imperium die Kategorien vorgibt. Und das ist auch was, was nicht nur die öffentliche Diskussion betrifft, das betrifft zum Beispiel auch die Geschichtswissenschaft selber, also auch die Wissenschaften selber. Wirklich auch nicht, auch wenn ich mich damit bei meinen Kollegen und Kollegen nicht beliebt mache. Ich will uns nicht so gut darstellen. Also auch die Geisteswissenschaften, Literaturwissenschaften, die Geschichtswissenschaften. Wir sind alle von diesem russozentrischen Blick geprägt. Und das spiegelt sich auch in den Publikationen wider, welches Wissen über die Ukraine produziert wird. Also es macht einen Unterschied, ob sie die Geschichte... Ukrainisch-russischer Beziehung schreiben, wenn sie vornehmlich mit russischen Quellen arbeiten und in Moskau und in Petersburg im Archiv fahren, oder ob sie tatsächlich ukrainisch können und dann eben auch andere Quellen mit einbeziehen können. Das gilt übrigens auch nicht nur für Russland-Ukraine, das gilt für ganz ganz viele Themen, die mit diesem ganzen Raum, dem immerliegenden Imperium, ob jetzt Zarenreich oder Sowjetunion, zu tun haben. Also man muss eigentlich eine neue Sprache entwickeln.
Nataliya Pryhornytska: Vielleicht eine kleine kleine Ergänzung dazu, dass es genau darum geht, diese fragmentierter Blick auf die Länder des östlichen Europas, also oft wird es auch von Osteuropa gesprochen. Ich habe an der FU studiert und es hieß immer noch Osteuropa Studien. Was das genau ist, würde man vielleicht so nicht so ganz genau erklären. Also Osteuropa, was ist das für ein Konstrukt? Und genau da muss man ansetzen, zu überlegen, was genau ist eigentlich gemeint, über welche Länder spricht man. Welche Spezifiker haben diese Länder und jedes Land hat eine eigene Geschichte, eine eigene Tradition und das muss eben aus der Perspektive angegangen werden.
Ira Peter: Also ich persönlich finde ja solche Bücher wahnsinnig wertvoll und ich besorge mir da quasi auch so meine Argumente für die nächste Familienfeier quasi daraus. Aber jetzt mal, wenn wir diese wissenschaftliche Ebene verlassen und ich bin vielleicht wirklich auf einer Feier, es muss auch keine Familienfeier sein, es kann einfach ein Event in Berlin so wie heute sein und jemand kommt zu mir und sagt ja, aber die NATO unter Westen und Russland musste sich verteidigen. Da kann ich jetzt nicht dieses Buch rausholen und sagen, ja liest mal kurz nach, das stimmt alles nicht, was du sagst, sondern wie begegne ich dem sowas im Alltag? Haben Sie da irgendwie praktische Tipps?
Nataliya Pryhornytska: Erfahrungen? Also aus meiner Erfahrung auf jeden Fall erstmal das Gespräch angehen und versuchen zu erklären, was eigentlich historisch passiert ist, wie wenn man das Wissen hat, also das einfach auch zu erklären, auch über den Status der Ukraine, die bis 2014 auch blockfreier Staat war und eigentlich erst mit der Annexion der Krim und der der Invasion in Donbass eigentlich auch diese Angst verstanden wurde und dann diese Bestrebung zur NATO entstand, also diese Argumente, mit den Argumenten versuchen zu operieren. Das sind Fakten, auf denen das Gespräch basiert. Ich muss aber auch gestehen, das greift auch nicht immer. Nicht jeder ist bereit, diese Fakten zu hören. Und je nach Gespräch muss man spüren und versuchen, über andere Kanäle zu erklären. Schaudi und Revolution der Würde wurden von der Gesellschaft getragen. Ich teile oft meine eigenen Erfahrungen, wie ich auf den Maidan war oder wie wir in Berlin Äh... Maidan organisiert haben, also so diese Revolution der Würde, wie man das unterstützt hat und auf diese persönliche Ebene versuchen zu kommunizieren, das wäre so mein Blick.
Ira Peter: Alena, du bist die Einzige von uns Vieren auf der Bühne, die tatsächlich in der Ukraine derzeit lebt. Das heißt, du lebst tagtäglich diesen Terror. Sind diese Gespräche, die wir gerade führen, ist das überhaupt etwas, mit dem du was anfangen kannst? Oder führst du solche Diskussionen schon gar nicht mehr, weil das für dich einfach nur absurd ist?
Alona Karavai: Also ich kann schon etwas mit diesen Gesprächen anfangen und es ist gut, dass das Terror doch nicht täglich passiert. Das passiert ja auch in Wellen, irgendwann gibt es vier Wochen Ruhe und dann gibt es eine Woche Nichtruhe. Aber ich nehme diese Gespräche mit ein bisschen Distanz wahr. Ich habe jetzt im Frühling in Chemnitz eine Ausstellung gemacht und da wurde ich von einem Journalisten aus Chemnitz angesprochen und die hat mir so eine Frage gestellt und die hat gefragt, regen sie sich über Putin verstehe auf und die war wirklich interessiert wie ich darauf reagiere besonders in Chemnitz wo ich dann auch bei einer Demonstration war wo man mit russischen Flaggen und wirklich mit Marschen da war und da stand ich da und ich habe so wirklich schnell so ein Plakat gemacht und auf Plakat stand es das ist doch nicht Ihr Ernst. Und ich stand so neben den Menschen, weil ich war so, das ist doch nicht Ihr Ernst, dass ihr jetzt mit russischen Flaggen und Militärsachen so durch Chemnitz marschiert. Also das kann doch nicht wahr sein. Und meine Antwort war an die Journalisten, ich habe gesagt, ich kann mich vielleicht darüber aufregen, Aber das steht auf meiner Prioritätsliste irgendwie Nummer 10 oder 12, nachdem ich Nummer 10 verstehe. 9, 8 und andere Sachen geklärt habe oder mich aufgeregt habe über die Sachen, kann ich mich über Putin-Versteher aufregen, aber...
Franziska Davies: Also speziell zu dieser Frage, oder es ist nicht nur speziell das, aber das ist so ein klassisches Beispiel, mit der NATO-Osterweitung. Anfangs habe ich das auch so gemacht, dass ich ganz geduldig war und ganz freundlich und dann angefangen habe versucht zu erklären, warum das nicht stimmt. Und inzwischen bin ich aber der Überzeugung, man muss den Menschen versuchen. Ich gebe dir absolut recht, bei manchen ist Lost Cause, da redet man dann eher für die, die daneben sitzen und schweigen. Versuchen klar zu machen, was sie da eigentlich sagen. Also dieses, was ist das euer Ernst, ist eigentlich ein guter Ansatz. Ich frage dann zurück. Russland entführt ukrainische Kinder und russifiziert die. Und sie glauben ernsthaft, das hat was damit zu tun, dass Polen der NATO beigetreten ist. Überlegen sie doch mal. Also das mal umzudrehen, gar nicht erst darauf einzugehen, auf diesen Blödsinn. Bullshit ist ein akademisch akzeptabler
Ira Peter: Ja, ich finde diesen Ansatz klingt schlüssig, probiere ich das nächste Mal auf jeden Fall beim nächsten Gespräch, wenn es darum geht. Ich bleibe bei Ihnen, Frau Davis. Sie sprechen in Ihren Publikationen von einem hybriden Krieg und der längst natürlich auch Westeuropa erreicht hat und wie wir eben gehört haben, auch durch Propaganda, Desinformation und eine damit bezweckte Spaltung ja auch sichtbar ist. Aber wie zeigt er sich denn sonst in Deutschland oder auch in anderen europäischen Staaten darüber hinaus, dieser hybride Krieg?
Franziska Davies: Ja, wir sehen das ja im Grunde genommen fast täglich. Also das kann ja sehr, sehr viele Formen annehmen. Also auch das ist wieder ja etwas, dass Russland sich im Kriegszustand mit Europa sieht. Das ist ja auch offen erklärt. Und wie wir alle wissen, interessiert sich die russische Führung nicht für Völkerrecht. Deswegen sind auch diese ganzen Diskussionen, die es teilweise in Deutschland über, sind wir jetzt völkerrechtlich Kriegspartei oder nicht. Das interessiert die russische Führung nicht. Sie sehen sich in einem ideologischen. Krieg gegen Europa, gegen den Westen, und das ist ja also auch schon der Informationskrieg, auf den Natalia im Grunde genommen auch schon hingewiesen hat, gegenüber der Ukraine seit 2013, 2014 aus naheliegenden Gründen besonders stark, aber auch schon 2004 bei der Orangenrevolution hat man das gesehen. Also das ist eine lange, es kann man diese russische Disinformationskampagnen, wo die westlichen Staaten auch das Zielpublikum sind, das kann man... Praktisch täglich und seit Jahrzehnten beobachten, aber auch so Dinge wie Angriffe auf Infrastruktur, Cyberangriffe, auch das ständige Austesten von Grenzen mit dem Eintritt in den NATO-Luftraum und so weiter. Das ist ja alles immer wieder ein Austesten der Grenzen des Westens und jede inadequate oder Nichtreaktion des Westens macht einen offenen Krieg wahrscheinlicher. Und natürlich auch da, wir kennen eigentlich das Playbook, also dieser Informationskrieg gegen die Ukraine, die Erzählung über die Ukraine, die jetzt eben als Vorwand der Vollinvasion oder als Legitimation der Vollinvasion gebraucht werden. Wir sehen jetzt seit einigen Jahren bereits die exakt selben Erzählungen über Litauen. Litauer sind Faschisten, es gibt keine litauische Sprache, es ist exakt dasselbe. Und man muss wirklich eigentlich nur, und das ist etwas frustrierend, dass auch gerade die deutsche Politik das in großen Teilen nicht tut, man muss einfach nur die Absichten, also man muss den einfach nur zuhören. Also wir sollten ja eigentlich aus der eigenen Geschichte gelernt haben, dass man das einfach glaubt, wenn ein faschistoides Regime einem sagt, was es tun will. Einfach glauben. Und Lenin hat Litauen ausgedacht, oder? Genau, ja, diese Geschichte.
Ira Peter: Allmählich dämmert es vielleicht auch der deutschen Öffentlichkeit, was da vor sich geht. Das Krasse ist aber, dass Expertinnen wie Sie ja schon seit Jahren vor Russland und der Aggression warnen und doch so häufig nicht gehört werden. Natalia, warum ist das denn so und was müsste sich ändern?
Nataliya Pryhornytska: Das mangelnde Wissen ist ein Grund dafür. Man kennt immer noch zu wenig wirklich die Tatsachen über die Ukraine, die Geschichte, die Entstehungsgeschichte dieser Aggression. Das ist wirklich sehr, sehr viele Jahre zurückgreift. Ja, also Jahrhundert mindestens und auch Jahrhunderte, würde ich sagen. Das ist eine Erklärung und tatsächlich was die Politik angeht, die politischen Entscheidungen, das ist viele... Entscheidungen darauf basieren, wie das Elektorat reagiert. Und mit Außenpolitik macht man sich nicht beliebt in der Regel. Das ist keine Politik, mit der man gewählt wird in das Parlament. Das ist zum einen auch für mich ein unerklärlicher Widerspruch. Letztens gab es eine Studie von Miedem. Da sind zwei Drittel der Menschen der Überzeugung, die Sicherheitslage soll geschützt, weiterhin geschützt werden. Und es ist wichtig. Es ist auch wichtig, die Ukraine zu unterstützen in dem Ausmaß oder auch. Also zumindest in dem Ausmaß, wie das stattfindet und ich glaube in den Studien, in den vielen Medien sind die Expertinnen, die auch was dazu konstruktiv beitragen können, oft auch nicht bekannt, also man kennt die Menschen nicht oder wenn man die Menschen kennt und die einlädt, trotzdem bei den Talkshow Runden hat man so eine gewisse Dramaturgie in der Zusammensetzung, dann hat man eine Person, die eine Meinung vertritt, die andere Meinung vertreten. Und dann ist es aber oft nicht eine konstruktive Diskussion und das finde ich sehr bedauerlich, weil es soll nicht darum gehen, dass nicht die russische Propaganda ist keine alternative Wahrheit. Und das ist das Problem. Also das ist das, was sehr verbreitet ist. Und aufgrund dieser fehlenden Informationen ist es auch leichter, bestimmte Informationen in die Gesellschaft zu bringen, den Raum zu bieten und die als eine sozusagen Alternative Informationen zu diskutieren. Und das was Franziska Du gesagt hast, nehme ich auf jeden Fall heute mit, dass wenn wir von dem Angriffskrieg sprechen, dann gibt es nichts zu diskutieren eigentlich. Also das Land wurde angegriffen, die Grenze wird versucht mit Macht und Stärke und Kraft zu verschieben. Es werden Menschen umgebracht. Es gibt Studien, wissenschaftliche Analysen, die belegen, dass es genozidaler Krieg ist. Also nach der Definition, nach der wissenschaftlichen Definition, es gibt, es liegt alles auf dem Tisch. Deswegen, wie das oft diskutiert wird, da glaube ich, ist das die erste Sache, die man ansprechen muss. Das ist eigentlich auch ein falscher Ansatz, darüber so zu diskutieren.
Ira Peter: Und gleichzeitig sehen wir, dass viele Menschen die Sache nicht ganz so klar einschätzen wie wir hier auf der Bühne, sondern zum Beispiel davon ausgehen, dass eine rein diplomatische Lösung nach wie vor möglich ist mit Putin und gehen dafür auch demonstrieren, werden dafür auch für diese Statements in Talkshows eingeladen. Frau Davis, warum ist das aus Ihrer Sicht nicht nur naiv, sondern am Ende vielleicht sogar gefährlich, wenn man davon ausgeht, dass hier eine rein diplomatische Lösung möglich ist.
Franziska Davies: Erstmal, weil das die Vernichtung der Ukraine bedeuten würde. Und es ist ja schon auch auffällig, dass die Leute, das sind ja immer dieselben, die das irgendwie seit Jahren erzählen, die haben bis heute diese Frage nicht beantwortet. Worüber soll die Ukraine verhandeln, wenn sie vernichtet werden soll? Und es ist insgesamt in dieser Medienlogik, also False Balance, wissen wir, dass sie aus anderen zusammenhängen, dass das gefährlich ist. Wir hatten genau das Gleiche beim Thema Klimawandel. Wir hatten das Gleiche beim Thema Pandemie. Ja, also da werden irgendwelche Scharlathane, die vielleicht sogar einen Professoren-Titel haben, das soll es ja durchaus geben, gegenübergesetzt mit seriösen Experten und Expertinnen und das ist dann sozusagen eine gleichberechtigte Position. Und wir wissen auch aus, ich habe mich dann ein bisschen damit auseinandergesetzt, weil ich natürlich auch diese Diskussion mit meinen Kollegen und Kolleginnen hatte, weil die dann teilweise gesagt haben, ja, dann diskutier doch mit X, Y und habe ich gesagt, das mache ich nicht. Weil dann legitimiere ich diese Person. Ich hab's auch schon gemacht, muss ich zugeben. Aber irgendwann hab ich gesagt, ich mach's nicht mehr. Weil dann ist das Frau Doktor, wobei der Doktortitel wird dann bei Frauen gern vergessen. Frau Davis sagt das und Herr Professor sagt das. Und damit habe ich ja praktisch zur Legitimation beigetragen. Weil ich dann dem Publikum einen wissenschaftlichen Disput vorspiele, den es gar nicht gibt. Und wir wissen aus der Geschichte mit dem medialen Umgang mit Klimawandel, dass das schädlich ist. Weil man kann noch so oft sagen XY vertretene Minderheitenposition. Beim Publikum kommt an, es ist umstritten. Zu dieser medialen Logik bin ich eigentlich aber auch gar nicht die beste Ansprechpartnerin, weil ich zum Teil gar nicht weiß, wie solche Entscheidungen zustande kommen in den Redaktionen. Aber zu diesem Punkt, wie dringt man eigentlich durch? Am Anfang habe ich immer gedacht, man muss einfach, was heißt einfach, schwer genug, man muss immer wieder auch einfach eigentlich das sagen. Also ein Land wurde angegriffen, ein Genozid wird verübt in den okkupierten Gebieten. Das ist doch total klar, was wir, also was wollen wir sein? Also da kann man dann Edi Wiesel zitieren, ja, also Neutralität hilft nie dem Opfer, nie dem Gepeinigten, das hilft immer dem Aggressor, wir können in einer solchen Situation nicht neutral sein, wir können nicht nach Verhandlungen ruften, aber ich fürchte, und das ist natürlich bitter, dass dieser moralische Appell nicht reicht. Und dass es deswegen wichtig ist, auch immer wieder zu sagen, und das stimmt ja auch, Es geht hier auch um euch. Es geht nicht in Anführungszeichen nur um die Ukraine, es geht um euch, es geht um eure Sicherheit, es geht um die Sicherheit eurer Kinder und Enkelkinder. Es ist in eurem Interesse, dass die Ukraine gewinnt. Und ich glaube, es gibt einen Teil, also einen Teil der Gesellschaft erreicht man ehrlicherweise sowieso nicht, aber es gibt einen anderen Teil der Gesellschaft, den man nicht darüber gewinnt, dass man Solidarität einfordert, sondern dass man immer wieder sagt, es ist auch gegen euch, das bedroht euch, eure Zukunft.
Ira Peter: Alena, was müsste denn passieren, damit diejenigen, die das nicht begreifen, es endlich begreifen, dass es hier nicht allein um die Ukraine geht, sondern dass es auch um unsere Sicherheit in Deutschland geht? Was muss passieren? Muss erst hier eine Rakete einschlagen oder was denkst du?
Alona Karavai: Das weiß ich nicht, das ist eine komplizierte Frage. Also ich würde nicht so weit mit der Rakete gehen, aber was ich da sagen wollte, es gibt einige Erfahrungen, die sollst du gemacht werden und nach diesen Erfahrungen wird es klarer. Genau, und bevor man diese Erfahrungen nicht gemacht hat, dann ist es kompliziert. Aber mit Rakete würde ich nicht so weit gehen.
Ira Peter: An welche Erfahrungen denkst du da, was könnte vielleicht Menschen dazu bringen, von ihrer friedenstauben Politik abzurücken?
Alona Karavai: Ich denke immer noch, womit ich angefangen habe, so ein bisschen mit diesem Denkspiel zu spielen und zu denken, okay, es kommt vielleicht nicht ein Punkt, wo wir das verstanden haben, vielleicht hat es schon angefangen, was, wenn es schon angefangen hat, nur unsichtbar und wir das nicht gesehen haben. Und auch mit diesen Erfahrungen zu spielen, das ist, es fängt nicht an einem Moment an, es hat vielleicht schon angefangen. Und das ist dann auch, was Franziska gesagt hat, über das Imperium, weil ich denke an diesen Krieg als einen imperialistischen Krieg und da kennen wir auch alle die Bücher, wir kennen was ist die Natur von einem Imperium, Imperium muss immer sich erweitern, Imperium muss immer wachsen und wenn es nicht wächst, dann stirbt es und das ist was wir möchten oder wie stoppt man das Imperium? Es muss dekonstruiert werden, es muss kleiner werden. Es gibt keinen anderen Weg dazu. Und das ist, wovor Europa immer noch Angst hat. Oder wenn ich auch oft mit meinen deutschen Kollegen rede, so irgendwie beim Bier, und dann sage ich etwas, okay, aber was kennen wir aus den Geschichtbüchern? Wie haben die vorherigen Kriege gestoppt? Also was war da eigentlich das Mechanismus? Und das Mechanismus ist immer, es muss auf dem Territorium vom Aggressor stoppen. Der Krieg muss auf das andere Territorium gehen. Und da sehe ich ganz oft Angst in den Gesprächspartnern. Also die haben Angst, oh, wie ist es, dass Krieg jetzt nach Russland geht. Die haben keine Angst, dass es schon in der Ukraine läuft, dass die Drohnen schon über Polen fliegen, dass die NATO Flugzeuge über ... Baltischen Länder fliegen, aber soweit ich wage zu sagen, dass der Krieg soll zurück zum Imperium kommen und das Imperium muss dekonstruiert werden, da sehe ich ganz oft diese Angst in den Augen und diese Angst kann ich noch nicht ganz nachvollziehen.
Ira Peter: Ja, das sind ganz viele Grenzen in den Köpfen der Menschen, glaube ich. Aber vielleicht regst du ja heute den einen oder anderen dazu an, diese Grenzen zu überwinden. Deine Waffe ist ja sozusagen Kunst und Kultur. Und ich bleibe direkt bei dir. Und du leitest ja die Assalzimenten a Chimnata. Das ist ein Ort, in dem Kunst trotz Krieg weiterlebt. Wie verändert denn der Krieg die Arbeit von KünstlerInnen? Also an der Front, in den Städten oder auch im Exil? Und wie wird das bei euch in eurem Projekt greifbar?
Alona Karavai: Ja, wir arbeiten meistens im westlichen Teil der Ukraine und da haben wir Privileg, dass wir so, wir nennen das in der Ukraine, das ist relatively safe und da dürfen wir weiter arbeiten und eigentlich, wenn ich an Kunst in Kriegszeiten nachdenke, da muss ich immer an meinen guten Freund Nikita Kadhan nachdenken, der immer sagt, also das Ende von der Kunst... Ist, wann Ende von den Künstlern ist. Künstler sind auch Menschen und wenn sie umgebracht werden, dann ist es das Ende von der Kunst. Und das ist, was wir dann auch in unserer Community sehen. Wir verlieren Menschen. Da muss ich zum Beispiel an David Ciccan denken, das Künstler-Anarchist, der vor kurzem umgebracht wurde. Und ich war da gerade in der Situation, wo ich sein Werk in der Ausstellung hatte. Und der ist gestorben während der Vorbereitung. Und dann kommst du als Kuratorin an eine Herausforderung, an die du nie gedacht hättest. Wie zeige ich jetzt dieses Werk? Weil es hat sich alles verändert in dieser Zeit. Ja, aber dann, wenn wir zurückkommen, was wir mit der Kunst machen, Kunst kann uns natürlich nicht retten. Das wird den Krieg nicht stoppen. Also es sind andere Sachen, die den Krieg stoppen und nicht die Kunst. Woran wir arbeiten? Wir arbeiten an Zusammenhalt, wir arbeiten an Solidarität, wir arbeiten an Gemeinschaftsgefühl. Weil wir müssen es uns auch vorstellen, weil nach außen kommt es vor, dass Ukrainer und Ukrainerinnen mit einer Stimme reden, und das tun wir auch, wenn wir im Ausland sind. Innerhalb des Landes sind es aber super diverse Erfahrungen. Und diese Erfahrungen teilen Menschen. Mehr und mehr. Jemand ist an der Frontlinie, jemand ist im Westen der Ukraine, wo unser Künstlerhaus ist, jemand ist an der Front, jemand ist in Zivilsachen, jemand ist im Ausland, jemand ist in der Ukraine. Und diese Erfahrungen sind so radikal verschieden, dass es kompliziert ist, zusammen zu bleiben in diesen Erfahrungen. Und das ist, woran wir arbeiten, wir versuchen. Ein Ort zu schaffen, wo diese Erfahrungen ausgetauscht werden können, wo Menschen das aussprechen können, auch durch Kunst und nicht unbedingt sofort, keine Ahnung, zusammenkommen oder zur Harmonie kommen, aber einfach verstehen, dass alle diese Erfahrungen zu diesen großen Erfahrungen gehören. Und das sind auch keine einfachen Gespräche, das sind auch keine einfachen Aussagen und es wird auch nicht einfacher sein. Immer wenn ich an unsere Arbeit denke oder an Kunstarbeit denke, dann denke ich, dass jeden Monat von diesem Krieg, das fügt uns fünf Jahre mehr Arbeit zu oder zehn Jahre mehr Arbeit zu, auch innerhalb der Ukraine. Irgendwann soll es dann auch zu größeren Verständigungen kommen, aber mit jedem Monat oder mit jedem Jahr, bis dieser Krieg geht, wird es länger dauern, bis wir anfangen können an Verständigung zu denken.
Ira Peter: Du beschäftigst dich ja in deiner Arbeit als Fachreferentin für die Stiftung ja auch mit Orten, die geschaffen werden, um eben Austausch zu ermöglichen. Welche solcher dritten Orte, ich nenne jetzt mal den Namen, der ja auch in den anderen Podcast-Folgen bei uns schon öfter gefallen ist, hat gerade deine besondere Aufmerksamkeit? Und warum sind denn solche Räume, solche Orte heute vielleicht wichtiger denn je?
Nataliya Pryhornytska: Als Salona gerade auch von den Orten gesprochen hat, dachte ich, hier setze ich unbedingt auch weiter an. Die Stiftung EVZ hat ein Programm, das heißt Chemistetschko. Und es hilft, in der Ukraine sogenannte dritte Orte zu schaffen. Das sind Orte, das ist nicht die Arbeit und nicht das Zuhause, sondern Gemeinschaftsräume. Die entstehen auf der Basis von Bibliotheken, Museen oder Kulturhäusern. Und wir haben auch ein Theater. Und dort ist es ein Raum, wo die Gemeinschaft sich trifft, verschiedene Aktivitäten zusammen vorbereitet, wo Jung und Alt sich begegnen, wo Minderheiten sich begegnen, wo einfach querschnittliche Gesellschaft einen Raum für Gemeinschaftsbildung hat und auch Stärkung von sozialem Zusammenhalt. Und diese Orte sind sehr, sehr wichtig, auch für das Thema Widerstand und Resilienz, weil darum geht es die Zentral in jeder Region, in jeder noch so kleinen Region. Können Menschen die Gemeinschaft zusammen schaffen und Jemis Seczko fördert eben exakt, dass mithilfe der Finanzierung der Stiftung dritte Orte erschaffen werden und ein besonderer Ort vielleicht, also ich kann nicht sagen, ob das mein Lieblingsort ist, weil ich schätze wirklich alle Kollegen haben das Programm entworfen und wir entwickeln das gerade weiter zusammen, aber über ein Ort würde ich dennoch gerne sprechen, das ist ein die Arte in der Stadt Herson. Und Kherson ist eine Stadt, die 2022 befreit wurde von der Okkupation und diese Stadt wird täglich beschossen. Menschen, Kinder, Menschen, die dort leben, haben im Prinzip keine Möglichkeit, sich irgendwo zu treffen. Diese Realität kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Aber dank der Stiftung wurde auf der Basis von einem Theater solch ein dritter Ort geschaffen. Und Menschen, die darüber berichten, die uns berichten, unseren Kollegen berichten, Das ist der einzige Ort in der Stadt, wo Menschen sich begegnen können und gemeinsam Aktivitäten machen können. Die machen von Kochkursen bis Englischunterricht, aber auch Angebote zur historisch-politischen Bildung, zur Reflektion über den Krieg, also den russischen Krieg jetzt, über den Zweiten Weltkrieg, wie man sich an die Sachen erinnert, wo alte Menschen sich auch begegnen und sagen... Eine Frau meinte im Video, wir sind auch in einer Art Menschen, die... Irgendwie über Stärke haben, um das alles zu überstehen, was sie gerade durchmachen. Und ich freue mich das und bin auch der Stiftung aus persönlicher Perspektive sehr dankbar, dass dieses Programm gibt, dass die Arbeit in der Ukraine auch gestärkt wird und dass die Menschen dann sozusagen den Bedürfnissen und dem, was die Menschen wirklich gerade brauchen, dem geholfen wird. Das ist ganz, ganz wichtig.
Ira Peter: Ich erinnere mich gerade in der zweiten Folge, wo es bei uns um Trauma ging. Da haben wir auch einige solche dritte Orte vorgestellt. Und unter anderem in der westlichen Ukraine, in der Region Sjetomir. Und als ich mit den Menschen vor Ort die Interviews geführt hatte, also leider nur über Zoom, hatte ich immer das Bedürfnis, da hinfahren zu wollen, weil meine Großeltern aus der Region kommen. Und wegen des Krieges mache ich das nicht. Aber Franziska Davis, Sie fahren tatsächlich regelmäßig in die Ukraine. Auch dieses Jahr waren Sie schon dort. Welche Begegnungen bleiben denn da vor allem so in Ihrem Gedächtnis? Und was kann man vielleicht von der Energie der Menschen, denen Sie dort begegnen, auch für unsere eigene Krisenfestigkeit lernen?
Franziska Davies: Es fällt mir schwer, da jetzt einzelne Personen oder Ereignisse herauszugreifen. Und ich muss auch sagen, ich war nie weiter als Käf, das würde ich wahrscheinlich auch in der Familie nicht durchsetzen können. Aber im Grunde genommen, wo ihr jetzt auch über diese Orte gesprochen habt, sind ja auch die Veranstaltungen oder die Anlässe, zu denen ich dann fahre. Das ist ja im Grunde alles eine Form von Resilienz und Widerstand. Also zum Beispiel die Buchmesse letztes Jahr in Kiew, auch in Lwif. Also das war auch ein Strom von Menschen, also ein unglaubliches Interesse an Literatur, an Kultur. Junge Menschen, das sind jetzt natürlich nur so eindrücklich, kann das jetzt nicht mit Zahlen belegen, aber eben dann auch Ausstellungen von den Büchern, von verbrannten oder halb verbrannten, im Grunde zerstörten Büchern, der durch Karajan Kharkiv, die kurz davor bombardiert worden war und die jetzt aber auch ihre Arbeit wieder aufgenommen hat. Also das sind ja alles Formen auch von Resilienz und Widerstand. Und ich glaube, ich meine, ich finde das als Außenseiterin schwierig, jetzt groß über die inneren... Diskussionen in der Ukraine zu sagen, mir ein Urteil darüber zu erlauben, aber dass ja auch dieses, also diese unterschiedlichen Erfahrungen, von denen du sprichst, das habe ich auch so wahrgenommen mit Gesprächspartnern, dass das ein großes Thema ist und gleichzeitig auch diese Doppelwürdigkeit. So einerseits ja, wie kann das sein, ihr in Kiev habt zumindest im Vergleich zu bestimmten Abschnitten an der Front doch ein relativ normales. Leben, also das was natürlich in ihrer Satz ist, das zu sagen, weil wir wissen alle, wie es ja auch Kiev unter Bombenangriffen leidet, aber ihr könnt hier Buchmessen abhalten und so weiter. Das ist das eine und ja auch sehr verständlich und das andere, aber genau darum geht es ja auch. Also deswegen verteidigen wir doch dieses Land damit, dass, damit das weiterhin möglich ist und jetzt ganz kürzlich, das war, da war ich auch am besten der Ukraine in und bitte dann auf eine... Was auch in Deutschland nicht so schnell passieren würde, das, was einen Historikerin einlädt, auf einer IT-Messe zu sprechen im Fußballstadion, wo dann aber auch mein Freund und Kollege Dachter Kärbola, der dann sagte, das ist ganz normal, ich werde als Philosoph ständig gefragt. Und ich dachte, wow, also ich werde eigentlich nie gefragt, irgendwelchen Businessleuten was zu erzählen über Geschichte. Das fand ich auch sehr interessant, das von wegen Lernen von der Ukraine, also dass wir das nicht so getrennt halten, sondern eben vielleicht auch als Teil. Ich weiß es nicht, das ist jetzt wirklich nur eine persönliche Erfahrung. Eben dieser gesamtgesellschaftlichen Mobilisierung auch eine größere Durchlässigkeit von vermeintlich getrennten Sphären, aber die natürlich nicht getrennt sind. Und da war ich jetzt auch einfach wieder sehr beeindruckt davon, was da für ein Event mitten im Krieg auf die Beine gestellt wird, also einfach sehr, sehr beeindruckt.
Ira Peter: Natalia, du hast im Vorgespräch gemeint, man sollte unbedingt weiterhin, wie Frau Day bis zum Beispiel in die Ukraine fahren, aus deiner Perspektive, was kann man dort aktuell vielleicht lernen oder vielleicht sogar verändern durch solche Besuche.
Nataliya Pryhornytska: Meine persönliche Meinung dazu ist, ja, natürlich sollte man in die Ukraine fahren, Frau auch. Es ist wichtig, den Menschen nicht die Solidarität nur mündlich zu bekunden und bei Möglichkeit auch das Land zu besuchen. Den Partnerinnen gegenüber zu stehen und da zu sein, präsent zu sein. Das ist auch meine Erfahrung der letzten Jahre. Ich war jetzt eine etwas längere Zeit nicht da, aber ich werde bei der nächsten Gelegenheit wirklich auch versuchen, in die Ukraine wiederzufahren, weil das ist genau das, wenn du im Land bist, wenn du den Menschen begegnest, spürst du das nochmal anderes. Und ich glaube dadurch, dass man Menschen begegnet, den Zuhörern nochmal ins Gespräch tritt, bekundet man die Solidarität nochmal auf einer ganz anderen Art. Man lebt diesen Alltag nochmal zusammen. Und das verändert immer etwas in mir persönlich. Ich danke die Energie tatsächlich in der Ukraine. Wenn ich vor Ort bin, wenn ich mit Menschen gesprochen habe, denke ich mir so krass, das ist eine andere Realität. Das ist wirklich wie Menschen einfach das Leben sich nicht nehmen lassen. Menschen setzen sich durch und nehmen lassen sich trotz der absoluten Ausnahmesituation als wirklich Krieg, jeden Tag. Dein Leben beeinflusst, machen sie trotzdem Geburtstagsfeier, Menschen treffen sich, Menschen machen Konferenzen, Menschen suchen den Austausch und deswegen finde ich das sehr wichtig, wenn man sich das leisten kann, also wenn man sich dazu entscheidet und sich das zutraut, in die Ukraine zu fahren, sollte man das unbedingt machen.
Ira Peter: Ich fand das auch unglaublich eindrücklich. Wir hatten in der dritten Folge über jugendliche Organisationen gesprochen in unserem Podcast Trümmer und Träume. Und da haben sich Menschen wirklich mitten im Krieg für Umweltschutz eingesetzt beispielsweise. Und ich dachte, Wahnsinn, also hat man da nicht eigentlich andere Sorgen. Aber nein, das ist für sie dann trotzdem weiterhin wichtig. Und ich dachte, die sind ja so resilient, so stark. Aber so nach drei Jahren frage ich mich, Alena, und damit an dich die Frage, wie viel Kraft kann denn eine Gesellschaft eigentlich auf Dauer aufbringen? Und was beobachtest du im Laufe der Zeit so an dir selbst, aber vielleicht auch an deinen Freundinnen und der ukrainischen Gesellschaft an sich?
Alona Karavai: Ja, ich glaube also die Antwort für die Ukraine ist ziemlich easy. Wir haben keine andere Wahl oder also es gibt eine andere Wahl, aber die andere Option ist immer schlechter als noch ein bisschen Ausdauer dazu zu tun und deswegen ist es diese Wahl ist ziemlich einfach. Du musst einfach durchhalten, weil die andere Option ist unzulässig, die ist schlechter. Natürlich, man wird müde, dann reißt man sich wieder zusammen, dann wird man wieder müde, dann reißt man sich wieder zusammen. Und ich würde das zustimmen, was Natalia und Franziska gesagt haben, also das sieht man. Man sieht eigentlich von einer Seite auch ganz viel Energie in der Gesellschaft. Zum Beispiel Kultureinrichtungen werden sehr gut besucht. Wir hatten nie so viele Besucherinnen und Besucher für Ausstellungen bekommen wie nach 2022. Super verschiedene Leute haben angefangen, Ausstellungen zu besuchen, weil auf einmal sprach die Kunst über etwas, was alle verbindet hat und das haben wir auch in unserem Haus gesehen. Wir haben dann auf einmal super viele Teenager und ältere Leute und die alle kamen da und die haben dann die Arbeiten besprochen und gesagt, das ist ethisch, das ist nicht ethisch und irgendwie so. Theater sind ausverkauft, man geht dahin, also es gibt super viele. Wohnungsausstellungen und so weiter also es gibt diese energie und die gibt es da aber man soll auch verstehen also das passiert dann wenn es diese existenzielle bedrohung ist dann kriegt man auch mehr lebensfreude irgendwie und das ist super wichtig das nicht zu romantisieren weil da sehe ich auch eine große gefahr wenn man das romantisiert weil irgendwie lebt man jetzt irgendwie das schlechteste und das beste Leben gleichzeitig und die Erfahrungen, die man macht, sind wirklich die besten und die schlechtesten Erfahrungen und diese Spanne von Gefühlen ist ganz anders und nachdem das alles zu Ende ist, das wird sich langweilig anfühlen. Also wie denn auch immer das jetzt paradoxal klingt, aber irgendwo kann man sich daran gewöhnen. Dass man das Leben immer 100, 200 Prozent fühlt. Und deswegen muss man das nicht romantisieren, weil das ist nicht in Ordnung. Also das ist nicht normal. Ich bin überzeugt, Menschen sollen ein bisschen langweilig leben. Also ich hatte auch andere Pläne für mein Leben und ich wollte auch was anderes machen, wenn ich 42 bin und ich wollte ein bisschen langweiliges Leben. Genau. Aber nach diesem Leben wird es kompliziert, ein anderes Leben zu führen. Und deswegen gibt es diese Energie, weil die kommt vom Nahe zum Tod. Ich bin in diesem Podcast vielleicht für Trümmer zuständig. Es gibt Trümmer und Träume und ich bin für Trümmer zuständig. Genau, wegen dieser Nahe gibt es fast immer Energie. Es gibt immer diese Resilienz, aber das ist nicht normal. Manchen sollen nicht zu leben.
Ira Peter: Auch ganz wichtig, auf die Trümmer durchaus auch zu gucken, um unseren Blick dafür zu schärfen. Am Blick von Franziska Davis habe ich gerade gesehen, dass sie etwas ergänzen möchten.
Franziska Davies: Ja, also ich würde noch mal aus einer anderen Perspektive ergänzen, was du gesagt hattest. Ich sehe schon auch die Gefahr, auch wenn man als Historikerin ja nicht, eigentlich sich nicht zur Zukunft äußern sollte und auch sich so viel vergegenwärt zu äußern, ist eigentlich eine ungewöhnliche Geschichte. Aber ich sehe schon die Gefahr, dass dann wiederum westliche Gesellschaften sich auf dieser Position es bequem machen, die Ukraine wird die Front schon irgendwie halten. Und dann auch nicht mehr aus dem ... Nicht mehr im Blick haben, was das für die Ukrainer und Ukrainerinnen bedeutet, was der Preis von diesem, die werden die Front schon halten, ist. Und das eben, ich hab auch manchmal das Gefühl, was für ein unglaubliches, kurzes Gedächtnis haben wir. Ja, also vor zweieinhalb Jahren, stimmt das jetzt überhaupt? Da fang ich an, dreieinhalb Jahren. Und die Panzer vor Käfstanden, ja. Und das ist ja, also sobald da irgendeine Situation entsteht, worus dann sich wieder neu aufstellen kann sozusagen. Und wir wissen ja, wie hoch die Investitionen in Militär, wie hoch auch die Investitionen in Drohnentechnologie und so weiter sind. Also auch wenn das natürlich alles, soweit ich die Analysen vieler Militärexperten und Expertinnen sehe, die ich, was ich ja nun wirklich nicht bin, auch wenn das alles ziemlich marode und nicht zukunftsfähig und auch inkompetent ist, aber trotzdem ist dieser absolute Wille, den Krieg zur Priorität zu machen, ja da. Und er schlägt sich nieder in den Investitionen, in Militär, in die Art und Weise, wie auch den Schulen schon indoktriniert wird. Und dass man diese Perspektive aus dem Blick verliert, dass die Bedrohung nicht gestoppt ist, indem man sich einfach auf die Position stellt, da dann die Ukraine sind ja offenbar resilient und die können ja die Front ja offenbar halten, dann wird das schon alles nicht so schlimm sein. Also glaube ich immer diese diese Ambivalenz Russland zu überschätzen und sich dann einzureden, das stimme ich dir auch absolut für, dieser historisch völlig falsche Vorstellung, Russland kann nicht besiegt werden. Ja, was für ein Blödsinn natürlich, auch historisch schon öfter mal passiert. Und das andere ist dann zu unterschätzen, den Willen und die Bereitschaft zur Destruktion, zur Gewaltanwendung zu unterschätzen.
Ira Peter: Vielen Dank, Nathalie. Ich komme nochmal zur Stiftungsarbeit zurück. Du hast ja vorhin von den dritten Orten gesprochen. Erinnerung, Verantwortung und Zukunft arbeitet seit Jahrzehnten, aber auch darin, Dialogräume nicht nur innerhalb der Ukraine zu schaffen, sondern auch zwischen Deutschland und der Ukraine. Wie gelingt denn das aus deiner Erfahrung und zwar ohne, dass sich sofort Hierarchien bilden und ohne, dass so ein Helfer-Opfer-Rollenverständnis auftaucht? Das zum einen, und die zweite Frage auch direkt an dich. Wie kann denn jeder Einzelne in Deutschland die Ukraine heute unterstützen?
Nataliya Pryhornytska: Zwei Fragen. Ich fange mit der ersten an. Also zur Stiftungsarbeit. Ich bin relativ neu in der Stiftung, aber die Stiftung kenne ich natürlich schon länger. Zum einen aus einem ganz wunderbaren Programm, nämlich Deutsch-Ukrainischer Jugendaustausch. Das ist ein sehr, sehr wichtiges Programm, weil ich glaube, da setzt man an bei der Gegenwart für die Zukunft, wo junge Menschen sich begegnen. Ein sehr, sehr erfolgreiches Projekt, wo ich auch damals, damals... Mitgemacht habe und wo ich auch die Zukunft der Zusammenarbeit, der Stärke der Gesellschaft, des Austausches auch weiterhin sehe. Ein Meetup-Projekt, wodurch ganz viele über 350 Projekte, Austausch, Begegnungen stattgefunden sind, wo junge Menschen aufeinander zugegangen sind und einander kennengelernt haben und da sehe ich eben diese kleineren Räume bei der jungen Generation. Aber die Stiftung hat auch andere Programme, Lernplattformen, bietet viele gute Inhalte an, darüber, wie man besser die Länder des östlichen Europas versteht, differenzierten Blick auf die Länder auch nochmal wirkt. Und ich glaube, da bewegen wir uns als Stiftung auch in eine gute, richtige Richtung, das nochmal vertiefter zu sehen, nochmal wirklich differenzierter zu betrachten. Im Programm. Local History können sich auch Projekte bewerben, um eine Förderung über den Zweiten Weltkrieg zu reflektieren. Und ich glaube, diese Programme sind auch der richtige Ansatz, den kleineren und größeren NGOs-Initiativen die Möglichkeit zu geben, eigene Projekte zu entwickeln, auf die Inhalte einzugehen und einfach die Themen zu begreifen. Und ich wünschte mir natürlich, also wenn man so träumen könnte, da wir auch darüber heute auch sprechen, dass es eines Tages ein festes Programm für eine feste Institution sogar geben würde, wo junge Menschen aus Deutschland und der Ukraine sich begegnen, wo ein Austausch nachhaltig stattfindet, wo eine wirklich klare Zukunftsperspektive für diesen Austausch gibt.
Ira Peter: Ja, wir dürfen Sie gerne applaudieren, das wünsche ich mir auch. Und was kann denn jeder Einzelne trotzdem jetzt schon tun? Also, bevor unsere Träume wahr werden, was können wir dazu beitragen, dass sie wahr werden?
Nataliya Pryhornytska: Dafür interessieren, sich für die Ukraine interessieren, das was wir auch heute machen, also das Angebot was die Stiftung macht, dass es einen Raum für den Austausch gibt. Ich denke, da stimme ich Alona und Franziska auch sehr in dem zu, dass es tatsächlich darum geht, den russischen Krieg, was gegen die Ukraine und schon hybrid gegen Europa geführt wird, als das zu betrachten und zu spüren. Was uns alle betrifft, jedes einzelne Individuum und das aber aus der Perspektive zu sehen, nicht aus der Angstperspektive zu sehen, weil ich glaube, Angst ist ein sehr irrationales Gefühl, das wird, das hemmt, das lässt einen auch nicht irgendwie die Sache konstruktiv angehen, sondern wirklich auch darauf zu schauen, was Gutes stattfindet. Ich finde, das fehlt in der Diskussion und im Diskurs, um zu schauen, was findet eigentlich alles statt. Wo findet der Austausch statt? Welche Kunstveranstaltungen finden statt? Wo ist, was verbindet uns? Also was verbindet Deutschland und die Ukraine, auf die Sachen zu schauen? Auch vielleicht klingt das auch ein Stück zynisch und weiß nicht, auch vielleicht nicht richtig. Aber das ist auch eine Sache, wo ich auch versuche, wirklich was Positives zu finden, irgendeine Studie zu finden, die das belegt, was ich spüre. Die Sicherheitsfrage beschäftigt viele Menschen. Uns verbindet vieles. Es gibt sehr viele Verbindungen zwischen Deutschland und der Ukraine. Neue Formate schaffen, neue Räume kreieren und immer den Austausch suchen. Das kann jeder und jede.
Ira Peter: Ich glaube, das ist ein Impuls, den jeder hier im Raum heute mitnehmen darf. Wir bleiben bei den Träumen. Frau Davis, wenn die Politik nun endlich ihren Empfehlungen vollumfänglich folgen würde, welche wäre denn die wichtigste, die Sie sofort umgesetzt sehen möchten?
Franziska Davies: Wie viele sehe ich in Ihrem Gesichtsausdruck? Das erste wäre natürlich die Ukraine in einen Zustand zu versetzen militärisch, dass sie den Krieg gewinnen kann. Und sich auch irgendwie von diesem Mythos zu verabschieden, dass Russland nicht besiegt werden kann. Was ja auch sehr oft damit zusammenhängt, diese Angst vor einer Destabilisierung Russlands, was immer uns das angeblich stabile Russland gebracht haben soll. Aber auch da finde ich die historische Perspektive hilfreich. Also es gibt ja diesen berühmten Chicken-Keef-Rede von George Bush Senior, wo er versucht hat, den Ukrainern und Ukrainerinnen einzureden, sie sollen bloß nicht unabhängig werden. Und das ist dann gefährlich. Und das ist dann wiederum auch so wieder die Überschätzung Russlands, auch die Überschätzung der eigenen Rolle, als ob wir das in der Hand hätten. Also ich bin schon davon überzeugt, dass Russland das russische Imperium zerfallen muss und damit meine ich das russische Imperium in seinen Grenzen von 1991. Ich beschäftige mich ja auch mit dieser Frage in meinen Forschungen. Warum hat sich keine anti-imperiale oder antikoloniale Dissidenz in Russland entwickelt? Warum ist es selbst im liberalen Anti-Putin oder liberal jetzt Anführungszeichen, darüber könnte man jetzt auch diskutieren, aber im Anti-Putin-Lager sagen wir mal so, warum sind da auch koloniale Denkmuster selbstverständlich? Warum gibt es keine wirklich laute anti-koloniale Stimme aus dem Anti-Putin-Lager? Ich weiß, dass es Leute gibt, die das tun, aber die sagen selbst, dass sie eine Minderheitenposition vertreten, und auch historisch gibt es das nicht. Also wenn man sich die kalten Kriegsdissidenten anschaut, da haben sie das ganz extreme Beispiel von Alexander Solzhenitsyn, der einfach selber hyperkolonial und nationalistisch war, und dann haben sie Leute wie Andrzej Sararow, der das nicht war, aber der auch nicht antikolonial war. Also der auch auf diese ukrainischen Dissidenten, die dann ankamen, mit ihren nationalen Rechten, sagt, ach, das ist doch was von vorgestern, aber wir müssen uns jetzt nicht mit mit beschäftigen mit nationalen Rechten, und das natürlich auch eine Unfähigkeit ist, die eigene. Privilegierung im Kolonialreich zu erkennen und eben zu erkennen, demokratisch heißt anti-kolonial, also dass das zusammengehört. Demokratiefreiheit kann es nur mit anti-emperialer, also dass das zusammengehört. Und es ist natürlich immer so wahnsinnig schwer das zu als Historikerin, warum etwas nicht da ist. Ja, aber... Wenn ich versuche, mir das irgendwie zu erklären, warum gelingt der Abschied vom Imperium in manchen Fällen schon und in anderen Fällen nicht, und in Russland ist es bis heute nicht gelungen, das Imperium muss mal so richtig krachend scheitern. Es muss richtig verlieren. Und eine Grundvoraussetzung dafür, was es ein bisschen wahrscheinlicher macht, dass das in Russland passiert, ist eine Niederlage in der Ukraine. Und ich glaube, da... Also mit diesem Ansatz muss man versuchen zu denken.
Ira Peter: Wir sind schon am Ende unseres Gesprächs. Aljona, ich überlasse dir das Schlusswort und Frau Davis hat zunächst in einer perfekten Welt das Militärische angesprochen, also dass wir da die Ukraine so gut wie möglich unterstützen müssen. Was kann oder sollte denn aus deiner Perspektive Deutschland oder auch die EU jetzt tun, damit die Ukraine eben nicht nur militärisch überlebt, sondern auch kulturell und gesellschaftlich weiterlebt? Und das wäre dann aus deiner Sicht das stärkste Zeichen echter Solidarität. Ja, ich soll jetzt versuchen optimistisch zu sein. Musst du nicht. Du kannst auch gerne noch ein bisschen mehr Salz in die Wunde streuen. Das liegt bei dir. I do my best.
Alona Karavai: Ja, also EU-Beitritt wäre nicht schlecht, russische Assets in militärische Hilfe an die Ukraine zu verwandeln, wäre nicht schlecht, das ist ja nicht deutsches Geld, das ist ja russisches Geld, was hier ist, also wäre ziemlich schlau, das zu machen. Wenn ich darüber spreche, denke ich, wir haben es nicht mal geschafft, Lviv als Kulturhauptstadt Europas zu machen, weil Creative Europe zu viel Angst hatte, die Kulturhauptstadt in die Ukraine zu setzen, in wie vielen, in drei oder vier Jahren. Deswegen weiß ich nicht, was zu beantworten. Wenn ich an Kultur, Gesellschaft und Kunst denke, dann sage ich immer in meiner Praxis, die werden sowieso bestehen. Also die sind stärker als Menschen, also Kultur, Kunst ist stärker. Und wenn wir zum Beispiel an Kunst arbeiten oder jetzt so Schule für Kunstschulen machen, dann sagen wir nur, wir machen das für uns, damit die nächste Generation schneller kommt. Die kommt sowieso. Also Kultur, Kunst, Gesellschaft wird überleben. Alles andere ist fraglich. Ich habe versucht.
Ira Peter: Wir bleiben realistisch. Alona Karawaj, vielen, vielen Dank. Dr. Franziska Davis, vielen Dank auch an Sie und zu meiner Linken Natalia Pljarnicka. Ich danke dir auch und Ihnen und auch an das Publikum hier in Berlin. Vielen, vielen Dank fürs Zuhören, fürs Mitdenken und fürs Weiterkämpfen.
Jingle: Trümmer und Träume. Zivilgesellschaft für die Ukraine. Ein Podcast der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.
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