Krieg in der Seele: Trauma & Resilienz in der Ukraine
Shownotes
Der Krieg in der Ukraine hinterlässt nicht nur Trümmer, sondern auch tiefe seelische Wunden. Diese Folge zeigt, wie Menschen mit Traumata umgehen, Resilienz aufbauen und trotz allem Hoffnung schöpfen. Sie stellt außerdem die Frage – wie können wir helfen?
Im Mittelpunkt steht Oleksandra Liaschenko. Mit 85 Jahren erlebt sie bereits den zweiten Krieg, der ihr Leben erschüttert. Wie schafft sie es, mit dieser Last umzugehen – weit entfernt von ihrer Heimat in der Region Donezk? Historikerin und Traumaexpertin Dr. Imke Hansen bildet in der Ukraine Psychotherapeut:innen aus und spricht über neue Wege der Traumabewältigung. Auch sogenannte Dritte Orte geben Hoffnung: In zwei Bibliotheken bieten Kunst und Gemeinschaftsprojekte Schutz und Halt für die, die alles verloren haben.
Links aus dieser Podcastfolge:
- Förderprogramm YeMistechko - ein Ort für alle in der Ukraine der Stiftung EVZ
- Hilfsnetzwerk für Spenden an Überlebende der NS-Verbrechen in der Ukraine
- NGO Vitsche - Aktivist:innen, die die Ukraine stärken
- NGO Libereco – Partnership for Human Rights
- Ich kann das!: Comic-Manual für die zivilgesellschaftliche Arbeit mit Geflüchteten und anderen vulnerablen Gruppen der NGO Libereco
- Website und Facebookseite der Stadtbibliothek in Schytomyr „LITtera“
- NGO Tolerspace aus Kyjiw
- Bildungsprojekt Uprooted von Tolerspace über geraubte Kinder während der NS-Verfolgung Dokumentation UPROOTED von “Kyiv Independent” über entführte ukrainische Kinder
- Verein KONTAKTE-KONTAKTY der NS-Überlebende in Osteuropa unterstützt
- Analyse über “Russian Propaganda Camps” der NGO Almenda
Sie haben Feedback, Anregungen oder Kritik? Schreiben Sie uns an standwithukraine@stiftung-evz.de
Idee: Stiftung Erinnerung, Verantwortung, und Zukunft (EVZ)
Konzeption und Moderation: Ira Peter
Produktion: speak low, Berlin.
Transkript anzeigen
Intro: Der Krieg in der Ukraine zerstört nicht nur Städte, sondern auch Leben. Millionen wurden vertrieben, ihr Zuhause existiert oft nur noch in Erinnerungen. Tod, Gewalt und Verlust hinterlassen tiefe Wunden. Für Menschen wie Oleksandra Liaschenko ist es bereits der zweite Krieg, der ihr Leben bedroht. Doch mit 85 Jahren bleibt sie unerschütterlich und damit ein Vorbild für jüngere Menschen.
Oleksandra: Man nennt mich Alexandra, die Siegerin – unter keinen Umständen aufgeben. Also halte ich durch.
Ira: Was gibt ihr Halt und wie entwickelt sich echte Stärke, wenn man allein und fern der Heimat ist? Therapeutin Imke Hansen erklärt in dieser Folge, wann Traumata entstehen.
Imke: Bei Trauma zahlt man die Rechnung später und man weiß nie, wann. Viele Menschen fühlen sich stark genug, sagen, ich krieg das alles allein hin, brauche keine Hilfe. Bis zu dem Moment, wo es eben nicht mehr geht.
Ira: Wie können da innovative Therapieansätze helfen? Welche Rolle spielen Orte wie Bibliotheken im Heilungsprozess?
Anna: Angebote für die Seele sind wichtig. Das gibt den Menschen das Vertrauen in die Welt zurück. Das ist leicht zu zerstören, aber sehr, sehr schwer wieder aufzubauen.
Ira: Und haben seelische Verletzungen auch positive Seiten?
Imke: Aus diesen Katastrophen und Krisen kommt natürlich nicht nur Trauma, sondern da kommt auch eine Überlebensstärke.
Ira: In dieser Folge geht es um Trauma, Resilienz und die Bedeutung psychischer Gesundheit für eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft.
Jingle: Trümmer & Träume. Zivilgesellschaft für die Ukraine. Ein Podcast der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft
Ira: Ich habe mit Menschen gesprochen, die tiefes Leid erlebt haben und täglich den Herausforderungen des Krieges begegnen. Die Interviews habe ich auf Russisch geführt. Obwohl Ukrainisch seit 1991 die einzige Amtssprache ist, sprechen viele, vor allem Ältere, in der Ukraine auch Russisch. Das ist typisch für postsowjetische Länder wie auch Kasachstan, wo ich geboren wurde. Seit der groß angelegten Invasion jedoch entscheiden sich immer mehr Ukrainer:innen bewusst dafür, nur Ukrainisch zu nutzen. Auch Oleksandra Liaschenko spricht überwiegend Ukrainisch, macht jedoch für unser Zoom-Gespräch eine Ausnahme. Mit 85 Jahren wirkt sie auf dem Bildschirm meines Laptops viel jünger. Ihre Stimme ist klar und bestimmt. Sie lebte in einem kleinen Ort nahe Bachmut – einer Stadt, die bis 2022 kaum bekannt war und heute für Zerstörung steht. Als 2022 Russland die gesamte Ukraine angriff, war sie zunächst gefasst, denn der Krieg hatte ihre Region im Osten des Landes bereits seit 2014 geprägt.
Oleksandra: Am 24. Februar dachten wir, es wäre nur vorübergehend. Im Jahr 2014 hatten wir drei Monate ohne Wasser und Licht überstanden, also nahmen wir an, dass es ähnlich sein würde. Doch als die volle Bombardierung begann, dachten wir, dass es dieses Mal wahrscheinlich nicht nur lange dauern würde, sondern vermutlich für immer.
Ira: Nur Tage nach Beginn der Vollinvasion fallen russische Raketen auch auf Oleksandras Heimatstadt. Als eine ihren Häuserblock trifft, sucht sie gerade Schutz im Keller.
Voiceover Oleksandra durch Ira: Das Gebäude wird so stark beschädigt, dass sie verschüttet wird. Erst Stunden später befreien sie Freiwillige aus den Trümmern und bringen sie zunächst nach Dnipro, dann nach Malyn, eine Kleinstadt etwa 100 Kilometer westlich von Kyjiw. Seitdem lebt sie dort mit anderen Geflüchteten in einem ehemaligen Kindergarten. Durch die Detonation hört sie bis heute schlecht. Ich muss bei unserem Interview sehr laut sprechen. Wie geht es ihr heute?
Oleksandra: Krieg ist etwas so Schreckliches, das wünscht man nicht mal seinem Feind. Aber was soll’s. Ich halte durch.
Ira: Doch wie kann man in einer solchen Situation durchhalten? Seit 2014 haben Millionen von Menschen in der Ukraine ihre Heimat verloren, viele auch ihre Angehörige, wurden selbst verletzt oder gar gefoltert. Wie sich all das auf die psychische Gesundheit auswirkt, erklärt die Osteuropa-Historikerin und Therapeutin Dr. Imke Hansen. Sie behandelt Menschen, die seelische Verletzungen, also Traumata erlitten haben. Ihre NGO Libereco setzt sich seit 2009 für Menschenrechte in Belarus und der Ukraine ein und bietet Gewaltopfern psychosoziale Unterstützung.
Imke: Kriegsereignisse wirken auf die Psyche und eigentlich kann man sagen, auf den ganzen Körper traumatisierend. Das, was wir psychologisches Trauma nennen, zeigt sich überhaupt nicht nur psychologisch. Man hat dann immer Angstattacken, Panikattacken oder Depressionen im Kopf. Sehr oft sind es aber eben auch körperliche Symptome, wie zum Beispiel Schlafprobleme, Schlaflosigkeit, ganz typisch ist erhöhter Blutdruck und natürlich einfach auch Krankheiten, gerade nach etwas Zeit.
Ira: Auch Oleksandra erzählt mir, dass sie ständig erhöhten Blutdruck habe, den sie aber ignoriert – so gut es eben geht. Imke Hansen nennt 3 Stressfaktoren, mit denen die 85-Jährige und alle anderen Menschen in der Ukraine derzeit umgehen müssen.
Imke: Ein Aspekt ist, dass Menschen sich in ihrem Land, in ihrem Zuhause nicht sicher fühlen können. Gerade die Menschen, die in den Städten wohnen und die – viele wohnen in Städten – können nie wissen, was passiert. Fliegeralarm ist so häufig, dass man im Grunde sein Leben nicht mehr fortführen kann, wenn man jedes Mal in den Keller geht. Und deshalb ignorieren die meisten Menschen den Fliegeralarm, orientieren sich an den Telegram-Kanälen, die dann eben sagen, wohin das jetzt gerade fliegt und gehen nur in dem Moment in den Keller, wo es wirklich das eigene Viertel zu treffen scheint und eben nicht.
Ira: Ein weiterer Stressor sei der Verlust des gewohnten sozialen Umfelds.
Imke: In der Ukraine sind durch den Krieg sehr viele Familien auseinandergerissen. Das ist sehr belastend für die Menschen, wenn man mit seinen Eltern, mit anderen Familienangehörigen quasi kaum mehr Kontakt haben kann. Dass viele Frauen mit den Kindern im Westen sind, in Sheltern oder eben in Wohnungen, die sie angemietet haben, auch völlig jenseits ihrer sozialen Netzwerke und ihrer restlichen Familienmitglieder, ist natürlich noch eine Sache, die das Ganze schlimmer macht.
Ira: Oleksandras Geschwister und auch ihr Ehemann sind bereits vor Jahren verstorben. Durch den Krieg hat sie nun auch den Kontakt zu ihren Nichten verloren, die ins Ausland geflohen sind. Vor allem aber fehlen ihr Freundinnen und Nachbarn, mit denen sie Jahrzehnte lang Tür an Tür gelebt hatte.
Oleksandra: Als ich aus meiner Heimat gerissen wurde, kam ich hierher und wurde nicht schlecht, man könnte sagen gut aufgenommen. Von meiner Stadt ist nichts mehr übrig. Kürzlich erhielt ich ein Video, das von einer Drohne aufgenommen wurde. Alles ist zerstört. Jetzt sind nur noch streunende Katzen, Hunde und Kühe geblieben und keine Menschen. Die Kämpfe gehen weiter, denn die Stadt liegt zwischen den Fronten.
Ira: Auch Ukrainer:innen, deren Wohnorte noch von Angriffen verschont worden sind, kämpfen weiterhin mit Ungewissheit. Dieser Zustand wirke sich laut Imke Hansen ebenfalls destabilisierend auf die Psyche aus.
Imke: Die wissen, dass sie sehr stark vom Westen und Waffenlieferungen abhängen, weil die Armee kann sie nicht verteidigen, wenn es keine Munition und keine Waffen gibt. Das heißt, diese Abhängigkeit von westlichen Ländern, von anderen Ländern, die merken die Menschen auch und das ist auch nicht gerade ein gutes Gefühl, wenn die Weltpolitik die ganze Zeit mit Angst verfolgt wird, weil man eben weiß, dass die eigene Sicherheit und die Sicherheit des eigenen Landes, der eigenen Kinder daran hängt, wie die Weltpolitik gerade so aussieht. Das heißt, eigentlich ist es wirklich, es ist ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Risikofaktoren, und das sind ganz individuelle. Was kann mir passieren? Das geht aber dann wirklich hoch bis zur Weltpolitik. Wie werden die weltpolitischen Geschehnisse dieses Land beeinflussen? Und deshalb ist die Sicherheit, die gefühlte Sicherheit für viele Menschen sehr gering, und das ist sehr schwierig auszuhalten.
Ira: Für Oleksandra vermischen sich alte und neue Ängste. 1940 geboren, begann ihr Leben in Sorge und Armut. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte ihr Vater als Kriegsversehrter zurück, starb jedoch bald. Die Mutter wurde pflegebedürftig, und Oleksandra, die jüngste von drei Geschwistern, kümmerte sich um sie. Auch Jahre nach dem Krieg kämpfte die Familie unter der Sowjetdiktatur um ihre Existenz.
Oleksandra: Ich war klein, ich erinnere mich nicht gut an die Nachkriegszeit, ich weiß aber, dass wir gehungert haben und sehr arm waren. Zu meiner Schulabschlussfeier musste ich barfuß gehen. Es gab nichts anzuziehen. Das war im Jahr 1958!
Ira: Trotz allem hatte sie Glück, dass ihre Familie zumindest überlebte, denn von 1941 bis 1944 war ein Teil der Sowjetukraine von deutschen und rumänischen Truppen besetzt. Der Historiker Timothy Snyder zählt die Ukraine zu den „blood lands“, den Hauptschauplätzen des Mordens während des Zweiten Weltkriegs und der stalinistischen Ära. Millionen Ukrainer:innen, darunter viele Jüd:innen, starben in Ghettos oder bei Vernichtungsaktionen, wie zum Beispiel dem Massaker von Babyn Yar. Heute erhalten noch etwa 180 Überlebende der NS-Verfolgung monatliche Unterstützung aus Deutschland, koordiniert vom Verein „Kontakte-Kontakty“ und gefördert durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Die Zerstörungen des aktuellen Krieges treffen diese Überlebenden auf besondere Weise. Wie, beschreibt Imke Hansen.
Imke: Die allermeisten Menschen in der Ukraine haben bereits vor dem Krieg, das heißt vor 2014, traumatische Erlebnisse gehabt. Erfahrungen, die sie überfordert haben. Und natürlich machen die das Nervensystem nicht stärker, sondern eher schwächer. Retraumatisierung ist biologisch gesehen im Grunde einfach nur eine neue Traumatisierung. Ein Inhalt, der mir begegnet, ist so stressig, ja aufgrund meiner Erfahrungen, die ich bereits gemacht habe, dass es mich überfordert.
Ira: Oft erkenne man erst später, dass eine Situation einen überfordert – so scheint es auch bei Oleksandra zu sein. Direkt nach dem Raketenangriff auf ihr Haus fühlte sie sich noch stabil, doch inzwischen wird sie von Albträumen verfolgt. Nacht für Nacht durchlebt sie aufs Neue, im zerbombten Keller gefangen zu sein. Ihre anhaltenden Ohrenschmerzen verstärken die Erinnerungen an die Todesangst.
Imke: Das ist eigentlich ein Muster, dass man bei vielen sieht, das ist am Anfang sieht es so aus, als hätten sie das alles gut überstanden, solange wir noch genug Adrenalin haben, da fühlt sich das alles gar nicht nach Traumatisierung an. Bei Trauma zahlt man die Rechnung später und man weiß nie wann. Viele Menschen fühlen sich stark genug, sagen, ich krieg das alles alleine hin, brauch keine Hilfe. Bis zu dem Moment, wo es eben nicht mehr geht und in dem Moment haben sie oft genug schon gesagt, dass sie keine Hilfe brauchen, dass es dann sehr schwierig ist, Hilfe noch in Anspruch zu nehmen. Und das ist ein Problem.
Ira: Oft hindert auch Scham Menschen daran, Hilfe zu suchen – besonders, wenn sie gefoltert oder vergewaltigt wurden. Eine Mutter, die solche traumatischen Erfahrungen gemacht hatte, sagte ihr Gespräch für diese Folge zunächst zu, dann aber wieder ab. Ihr Sohn kämpft für die Ukraine, und sein Vorgesetzter äußerte Sicherheitsbedenken. Ich verstehe das, denn die Angst sitzt tief. Sie sorgt sich um das Leben ihres erwachsenen Sohnes und um die Sicherheit ihres jüngeren Kindes. Sollte sie wieder in Haft geraten, droht ihm eine Entführung. Etwa 20.000 ukrainische Kinder wurden bereits nach Russland verschleppt, so Berichte der OSZE und von Menschenrechtsorganisationen. Was darüber bekannt ist, erklärt Anna Lenchovska, Psychologin und Leiterin der NGO Tolerspace in Kyjiw. Dort bildet sie Pädagog:innen im Umgang mit traumatisierten Kindern aus und leitet Selbsthilfegruppen für Jugendliche.
Anna: Von einer Entführung sind besonders Kinder aus Waisenhäusern betroffen, aber auch solche, die während der sogenannten Filtration in den besetzten Gebieten festgenommen wurden. In Russland gibt es ein beschleunigtes Verfahren zur Adoption dieser Kinder, sodass sie schnell in russische Familien kommen. Oft werden ihre Namen geändert, was es schwer macht, sie später zu identifizieren.
Ira: Weiß man etwas darüber, was mit den Kindern dann in Russland passiert?
Anna: Ja, es gibt eine Untersuchung der ukrainischen NGO Almenda. Natürlich ändern sie die Narrative. Russland nutzt das Narrativ vom „großen patriotischen Krieg“ und Begriffe wie „Nazis“ und „Faschisten“ bewusst falsch und gegen uns, um eine russische Identität bei den Kindern zu fördern und die ukrainische auszulöschen. Als erstes entfernen sie ukrainische Bücher aus Bibliotheken und ersetzen sie durch russische, sie sind in Sachen Propaganda wirklich gut vorbereitet. In den Lagern für Kinder wird eine militaristische Agenda vermittelt, die vor allem die Identität der jungen Menschen zerstört. Teenager werden systematisch verunsichert und dazu gedrängt, sich als Russen zu sehen. Und ich glaube, dass das verwundbare Teenager-Seelen tief trifft.
Ira: Auch im Fall der entführten Kinder verletzt Russland grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts und begeht Kriegsverbrechen. Kehren diese Kinder wieder zurück?
Anna: Es gibt mehrere NGOs und Regierungsorganisationen, die an der Rückführung von ukrainischen Kindern arbeiten. Eine Initiative des Präsidenten mit dem Namen „Bring Kids Back“ hat bereits 1199 Kinder aus besetzten Gebieten zurückgebracht. Diese Arbeit erfolgt in Zusammenarbeit mit internationalen Komitees und mutigen Helfer:innen vor Ort in Russland.
Ira: Auch NGOs aus Deutschland wie Vitsche mit Sitz in Berlin unterstützen bei der Rückführung von Kindern aus Russland, indem sie in Kampagnen zum Beispiel auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen und Druck auf die UN sowie die EU auszuüben. Welche Hilfe brauchen Menschen nach solch schlimmen Erfahrungen in Deutschland?
Anna: Es gibt eine Doku von „Kiev Independent“. Sie erzählt von einer Polizistin aus Mariupol, die ihre beiden Kinder wiederfand. Sie leben nun in einem Wohnheim in Deutschland. Dort haben sie zwar Essen und eine Unterkunft. Solche Familien brauchen aber vor allem psychosoziale Unterstützung und berufliche Perspektiven, um ins Leben zurückzufinden. Angebote für die Seele sind entscheidend. Das gibt den Menschen das Vertrauen in die Welt zurück. Das ist leicht zu zerstören, aber sehr, sehr schwer wieder aufzubauen.
Ira: In Deutschland ist der Zugang zur Therapie für Geflüchtete oft erschwert – sei es durch finanzielle Hürden oder fehlende Sprachmittlung. Dabei zeigen Studien, dass etwa jeder Fünfte, der Krieg erlebt hat, unter schweren psychischen oder körperlichen Folgen wie Bluthochdruck und Schlafstörungen leidet – wie zum Beispiel Oleksandra. Besonders Kinder in Kriegs- und Krisengebieten sind betroffen: Zu den häufigsten Belastungen zählen Panikattacken oder Wutanfälle. In der Ukraine werden nur etwa 20 Prozent der Menschen mit Traumafolgestörungen behandelt, sagt Imke Hansen. Wie sieht psychologische Hilfe bei Libereco konkret aus?
Imke: Wenn wir verstehen, das Trauma keine Krankheit ist, sondern im Grunde eine Verletzung, ja die passiert ist dadurch, dass eine Aktivierung aufgekommen ist, aber nicht ordentlich zu Ende gebracht wurde, dann können wir mit Menschen ganz einfach so arbeiten, dass wir es schaffen, dass sie ihre Aktivierungen zu Ende bringen können. Und das können wir machen, ohne dass die Menschen uns die schlimmen Situationen erzählen müssen. Das ist ganz besonders wichtig bei Menschen, wo es um sexuelle Gewalt geht, wo es um Folter geht, wo es um Situationen geht, die man wirklich ja nicht erzählen kann, für die es keine Worte gibt, oder mit denen man auch andere Menschen nicht belasten möchte.
Ira: Um so eine Aktivierung des Nervensystems abzuschließen und Traumata zu verarbeiten, setzt Imke mit ihrem Team auf Somatic Experiencing – eine körperorientierte Methode. Sie basiert auf der Beobachtung, dass Wildtiere nach einer Bedrohung Stress durch Bewegung abbauen, während Menschen Trauma oft im Nervensystem festhalten. Somatic Experiencing hilft, gespeicherte Überlebensreaktionen wie Kampf, Flucht oder Erstarren sanft zu lösen und das Nervensystem zu regulieren. Dabei unterstützen Therapeut:innen Betroffene dabei, körperliche Empfindungen wahrzunehmen, ohne das Trauma erneut durchleben zu müssen.
Imke: Es geht nicht darum, dass man jemandem Ratschläge gibt, sondern im Gegenteil, es geht bei Somatic Experiencing darum, dass ein zweites Nervensystem anwesend ist, was sich sicher fühlt und was quasi diese Sicherheit, diese Stabilität ausstrahlt, so dass das andere Nervensystem, dem es gerade nicht so gut geht, sich eine Zeit lang festhalten kann, um wieder die eigene Stabilität zu gewinnen.
Ira: Im Rahmen dieses Konzepts können Traumata durch Spiel oder Musik beispielsweise behutsam verarbeitet werden. Neben ihrer direkten Arbeit mit traumatisierten Menschen, berät und schult Imke Lehrkräfte, Eltern und psychologisches Fachpersonal in der Ukraine.
Imke: Jeder Mensch kann das lernen und jeder Mensch kann das benutzen und vor allem eben auch in Krisensituationen. Somatic Experiencing ist extrem gut dafür geeignet, in Krisen Menschen als Instrument zu dienen, als Werkzeug zu dienen, was sehr gut funktioniert und was wir momentan im Jahr mit über 3000 Menschen, darunter auch Kinder und Jugendliche, trainieren. Wir sehen, dass psychosoziale Angebote immer mehr angenommen werden und vor allen Dingen dieser Ansatz, den wir haben. Also wir können noch nicht mal die Hälfte der Personen in unseren Trainings aufnehmen. Die die die Trainings gerne machen würden. Und das tut mir selber sehr leid. Wir haben einfach nicht die Kapazitäten, weder die finanziellen noch die noch die personellen Kapazitäten, um da wirklich alle zu versorgen.
Ira: Oft hilft sie auch akut Betroffenen wie kürzlich einem Freiwilligen, der bei einem Einsatz in der Ukraine einen Arm und ein Bein verloren hatte. Was sagt man einem Menschen in solch einer Situation, vermutlich nicht: alles wird gut?
Imke: Viele Menschen sagen einem nach einem schlimmen Ereignis: Alles wird gut. Nein, es ist nicht alles gut, es ist Krieg, ja, und wir wissen auch nicht, ob wir den überleben, und deshalb ist das total absurd zu sagen, alles ist gut, aber ich kann immer sagen, ich bin hier, ja, ich bin hier. Das ist jetzt sehr stressig und du bist nicht alleine. Ja, ich bin hier, ich werd hier nicht weggehen. Ich bin für dich da. Das sind Sätze, die wahr sind, ja oder die man einhalten kann und die viel besser sind als zu sagen, alles ist gut, alles wird gut. Was auch hilft, ist zwischenmenschlicher Kontakt. Menschen finden die, denen es ähnlich geht, Menschen finden, mit denen man sich einfach gut versteht, sich mitteilen, das sind Dinge, die sehr stark helfen.
Ira: Gemeinschaft und Austausch sind auch für Oleksandra eine wichtige Stütze in dieser Zeit. Als ehemalige Bibliothekarin suchte sie nach ihrer Ankunft in Malyn sofort die Stadtbibliothek auf – und fand dort nicht nur Bücher, sondern auch neue Freundschaften.
Oleksandra: Kaum war ich hier angekommen, fand ich in der Bibliothek meine nun besten Freunde. Ich sagte damals, ich bin auch Bibliothekarin, wir können uns austauschen. Und jetzt tauschen wir uns schon seit drei Jahren aus, wir kommen hier zusammen, auch abends und zu Veranstaltungen, auf eine Tasse Tee und alles scheint in dem Moment gut.
Ira: Die Bibliothek in Malyn hat sich seit Beginn der Vollinvasion zu einem zentralen Treffpunkt entwickelt – einem sogenannten dritten Ort, der die Gemeinschaft stärkt und Raum für kreative Ideen bietet. Dank des Förderprogramms YeMistechko der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft kann sie seit März ihr Angebot weiter ausbauen. Psychotherapeutin Marianna Makartschuk, die das Gespräch mit Oleksandra und mir begleitet, plant dort Programme wie Kunsttherapie. In der 40.000-Einwohner-Stadt betreut sie bereits viele der 5.000 Geflüchteten.
Marianna: Ich bin sehr froh, dass die Stiftung dieses Projekt unterstützt, wir können nun unsere Träume erfüllen und noch mehr Menschen zusammenbringen und unser Wissen weitertragen.
Ira: Das Interesse an den geplanten Kursen ist groß, es gibt bereits eine Warteliste. Oleksandra wird auf jeden Fall dabei sein. Aus Erfahrung weiß die Psychologin, dass niedrigschwellige Angebote wie gemeinsames Basteln, Malen oder Singen traumatisierten Menschen helfen – auch wenn sie anfangs manchmal Skepsis auslösen.
Marianna: Bei der Kunsttherapie habe ich Leute, die sagen: „Ich mache mir Sorgen, kann nicht schlafen, aber ich will nicht zeichnen, das bringt mir nichts.“ Doch sobald sie es ausprobieren, sagen sie: „Es geht mir besser.“ Ich merke, wie wir Menschen damit eine neue Welt eröffnen.
Ira: Marianna und ihr Team in Malyn stehen noch am Anfang, doch anderswo ist ihre Vision bereits Realität. Die Bibliothek im nahegelegenen Zhytomyr zeigt, wie ein dritter Ort zur Heilung beitragen kann. Durch die Förderung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft hat sie sich zu einer der lebendigsten Bibliotheken der Ukraine entwickelt. Mit gemeinschaftlichen Erlebnissen wie Kochen und Singen schafft sie Begegnungsräume für Binnenvertriebene, Familien gefallener Soldat:innen, Kriegsversehrte und Freiwillige. Besonders das Projekt „Kraftort der drei Generationen“ stärkt den Austausch zwischen Jung und Alt. Bibliotheksdirektorin Laryssa Chartschjuk beschreibt, was diesen Ort so einzigartig macht:
Laryssa: Hier treffen sich drei Generationen: Kinder, Teenager und Ältere. Dafür haben wir den Samstag reserviert – ein Tag, an dem alle Zeit haben, und das kommt super an. Sie singen zusammen, trinken Tee und tauschen sich aus. Ihre Augen leuchten, weil sie miteinander ins Gespräch kommen und für einen Moment alles andere vergessen können.
Ira: Das Projekt reagiert auf drängende gesellschaftliche Herausforderungen, insbesondere die Integration von Binnenvertriebenen verschiedener Altersgruppen, die durch ihre Fluchterfahrungen soziale Bindungen verloren haben. Gleichzeitig unterstützt es sie bei der Bewältigung von Traumata – davon ist Laryssa, die studierte Psychologin ist, überzeugt. Dieser Ort sei für viele essenziell, weil er ihnen hilft, nicht in Depressionen zu verfallen. Tatsächlich stieg der Verbrauch von Antidepressiva in der Ukraine laut verschiedenen Quellen seit 2022 um 75 Prozent.
Laryssa: Wir bieten ihnen einen positiven Weg, um mit traumatischen Erlebnissen umzugehen. Wir geben ihnen die Möglichkeiten, kreativ zu sein, sich auszutauschen. Oft sind es auch Kleinigkeiten, die helfen, wie unseren Kater zu streicheln. In unserer Bibliothek gibt es eine Gruppe, die sich selbst „optimistische Umsiedler“ nennt. Sie kamen völlig verzweifelt an und haben sich in den zwei, drei Jahren hier berappelt, haben Arbeit gefunden. Sie verfallen nicht in Depressionen. Unsere Psyche ist faszinierend – sie drängt das Negative zurück und sucht nach dem Positiven. Denn unser Organismus ist auf Überleben ausgelegt, und dieses Überleben spielt sich auch auf psychologischer Ebene ab. Bibliotheken als „dritte Orte“ sind in diesem Zusammenhang von unschätzbarem Wert. Man kann ihn nicht in Zahlen messen, sondern in den leuchtenden Augen der Menschen. In diesen Momenten wird klar: Das Leben geht weiter.
Ira: Ira Und auch für sie selbst bedeutet die Arbeit eine Art Therapie.
Laryssa: Ja, manchmal sage ich ehrlich, wenn man mich fragt: Wie geht’s dir? Da antworte ich: Ich arbeite viel, um nicht über Schlechtes nachzudenken.
Ira: Doch auch wenn sie tagsüber Ablenkung findet, in der Nacht verfolgt sie der Krieg weiterhin.
Laryssa: Wenn ich schlafen gehe, träume ich vom Krieg. Und wenn nachts in der Nähe wirklich Explosionen zu hören sind, rede ich mir ein, dass es nur ein Traum ist – denn ich muss mich ja ausruhen, um am nächsten Tag produktiv arbeiten zu können. Unser Alltag ist völlig surreal: Nachts die Bomben und tagsüber stehen wir auf und gehen wie fleißige Bienchen zur Arbeit, als wäre nichts gewesen. Es fühlt sich an, als gäbe es zwei Leben: Eins vor dem Krieg, als wir schreckliche Filme über den Krieg gesehen hatten und dachten: Das gibt es nur im Film, nur in Schwarz-Weiß. Doch jetzt ist der Krieg für uns in Farbe – und wir beerdigen weiter unsere Jungs. Wir leben im ständigen Stress, versuchen, unser altes Leben zurückzuholen, aber es gelingt nicht. Es ist ein endloser Schmerz. Wir wünschen sehr, dass er endlich aufhört.
Ira: Vor allem für Menschen, die aus der Ostukraine ins westlich gelegene Shytomyr geflüchtet sind, sei die Situation kaum zu ertragen.
Laryssa: Alle möchten nach Hause zurück, das ist wirklich ein großes Problem. Vor allem für Ältere, deren Kinder ins Ausland geflohen sind, sie haben alles verloren.
Ira: Auch Oleksandra kämpft 800 Kilometer von ihrer Heimat im Gebiet Donezk entfernt gegen das Heimweh. Sie weiß, dass sie nie wieder zurückkehren kann.
Oleksandra: Ich habe keinen Ort mehr, an den ich zurückkehren kann – dort werden vielleicht für die nächsten 20 Jahre nur Ruinen und Minen sein. Und doch will man nach Hause, zu den Wurzeln, dorthin, wo die Gräber der Freunde sind. Ein Leben lang an einem Ort, und dann wird man entwurzelt wie ein Baum, den man anderswo neu pflanzen will.
Ira: Es wirkt, als sei sie am Ende ihres Lebens wieder an den Anfang zurückgekehrt. Nicht nur wegen der Bedrohung, auch die ohnehin vorhandene Armut hat der Krieg verschärft. Oleksandra erhält nur 92 Euro Rente im Monat, ihre Ernährung ist einseitig – meist besteht sie aus Tee und Pelmeni. Sie erzählt das nüchtern, ohne Klagen. Die Dinge sind, wie sie sind. Was hilft ihr, dennoch durchzuhalten?
Oleksandra: Ich weiß es nicht, vielleicht hilft mir die Hoffnung auf etwas Besseres. Wahrscheinlich habe ich irgendwelche besonderen Gene.
Ira: Marianna schaltet sich ein.
Voiceover Marianna: Da gibt es etwas durchaus Besonderes. Als ich Oleksandra zum ersten Mal traf, spürte ich sofort ihre Energie. Glauben Sie mir, ich kann das fühlen. Und nicht nur, weil ich Psychologin bin – da ist eine Energie, ein Streben. Sie hört nicht alles perfekt, aber sie bemüht sich sehr, und sie ist unglaublich klug, einfach nur wow. Sie ist zu uns gekommen, obwohl sie nicht ganz gesund ist. Man merkt ihr den Ehrgeiz an. Dieser Ehrgeiz, den man kaum messen kann. Sie ist ein Vorbild für die heutige Jugend, sie zeigt, was man Zielstrebigkeit und Glauben an sich selbst erreichen kann.
Ira: Oleksandra Liashenko ist ein lebendiges Beispiel für das, was die Forschung Resilienz nennt – die Fähigkeit, sich von schweren Ereignissen zu erholen und sich anzupassen. Eine eindrucksvolle Geschichte dazu ist die von Viktor Frankl, einem österreichischen Neurologen und Psychiater, der den Holocaust überlebte. Frankl zeigte, dass wir selbst in den schlimmsten Umständen die Kontrolle über unsere Gedanken und Einstellungen behalten können, um unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken. Diese Fähigkeit ist nicht jedem gegeben, sie kann jedoch erlernt werden – und sie wächst, wenn wir uns gesehen und unterstützt fühlen, wie es bei Oleksandra der Fall ist.
Imke: Die Menschen in der Ukraine gehen mit der starken Belastung unterschiedlich um. Und bei diesem Umgang sieht man auch eine ganz erstaunliche Resilienz. Also viele Menschen engagieren sich für andere sehr, sehr viele, und das seit 3 Jahren und das quasi unermüdlich und obwohl viele sagen, sie sind müde, kommt doch immer noch Kraft, um weiterzumachen. Ist was ganz Erstaunliches. Es gibt da offenbar eine große Resilienz, die weitervererbt wird. Ich meine, die Ukraine hat schon so viele Katastrophen im letzten und in diesem Jahrhundert erlebt, so viele Krisen, und aus diesen Katastrophen und Krisen kommt natürlich nicht nur Trauma, sondern da kommt auch eine Überlebensstärke. Da kommen Erfahrungen heraus, wie man Katastrophen eigentlich überleben kann. Und ich glaube, diese Resilienz, das hilft sehr stark. Ukrainer sind wirklich gut im Überleben. Es gibt so viele originelle Ideen, so viele, so viel Aktivität auch. Also das ist eine ganz, ganz große Stärke.
Ira: Können auch Menschen, die beispielsweise gefoltert wurden oder mit ansehen mussten, wie Bomben ihre Kinder oder Eltern zerrissen, ebenfalls Resilienz aufbauen und ein „normales“ Leben führen?
Imke: Ja, hat man denn die Wahl? Menschen, die außer Gefangenschaft kommen, haben nicht die Wahl. Ja, es wird von der Gesellschaft erwartet, ganz klar. Natürlich ist schwierig, in ein normales Leben zurückfinden angesichts der Tatsache, dass ein Trauma es unmöglich macht, dass die Dinge wieder so werden wie vorher. Aus einem Trauma kommt man nicht dadurch raus, dass das Trauma irgendwann einfach weggeht, sondern eigentlich nur durch posttraumatisches Wachstum, das heißt, ich wachse daraus. Sie kennen Geschichten von Menschen, die Tolles vollbracht haben, sich für andere Menschen heldenhaft eingesetzt haben und wo gesagt wird, ja, und dabei hatte die doch so eine schwere Zeit. Das ist nicht trotz, sondern genau deswegen. Menschen, die wirklich Schweres überstanden haben, setzen sich danach sehr oft für andere ein, haben eben diese Kraft, wenn sie es geschafft haben, mit den Traumata umzugehen, diese Traumata zu integrieren. deshalb, man kann schon natürlich auch nach Gefangenschaft und Folter in der Gesellschaft wieder leben.
Ira: Studien zeigen, dass nach traumatischen Erlebnissen die ersten drei Monate besonders schwer sind, danach geht es den meisten Betroffenen aber langsam besser – oft auch ganz von selbst. Der Mensch akzeptiert, dass vieles zunächst sinnlos erscheint und vertraut darauf, dass die Zeit alle Wunden heilt. Dies klingt wie eine Weisheit unserer Großmütter, doch moderne Emotionspsychologie bestätigt: Unsere Probleme schrumpfen, wenn wir uns selbst nicht mehr für den Mittelpunkt halten. Resiliente Menschen sehen stressige Situationen als Herausforderungen und reagieren flexibler. Oleksandra erscheint mir sehr resilient und Laryssa auch – was gibt ihr Kraft?
Laryssa: Das Gefühl, gebraucht zu werden und wichtig zu sein. Zu Hause hat man das eigene Kopfkissen, hier ist man geboren, hier werde ich gebraucht. Ich habe verstanden, als Direktorin habe ich Verantwortung und ich muss den Menschen ein gutes Beispiel geben. Alles wird gut.
Ira: Sie glaubt weiterhin an den Sieg der Ukraine, doch die Kriegsmüdigkeit wächst – ein Gefühl, das viele in der Ukraine teilen. Laut einer Studie von Gradus Research hat die Gesellschaft den andauernden Konflikt zwar akzeptiert, hofft aber auf ein baldiges Ende. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die daraus erwachsende Widerstandskraft zu stärken, braucht es weiterhin engagierte Menschen wie Laryssa, Marianna und Anna, inspirierende Vorbilder wie Oleksandra und Organisationen wie Libereco, die mit ihrer Krisenhilfe und psychosozialen Unterstützung nicht heute helfen, sondern auch die Zukunft positiv beeinflussen.
Imke: Eine Traumatisierung verursacht körperliche und psychische Symptome. Menschen, die mit ihren Symptomen beschäftigt sind, können sich nicht für eine auf Gleichheit und Demokratie angelegte Zivilgesellschaft engagieren. Und deshalb ist es für die Weiterentwicklung der Ukraine, ja, für ja für die Weiterentwicklung sowohl in Kriegszeiten als auch in den danach und bald hoffentlich folgenden Friedenszeiten in einer unabhängigen und autonomen Ukraine. Dass die Menschen, dass es den Menschen einfach gut geht. Dass es eine gewisse Informiertheit in der Gesellschaft gibt, dass es Menschen gibt, die sich die sich danach kümmern, ja, und die auch wissen, wie man das macht. Das heißt, um wirklich eine Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten, wo Menschen sich gegenseitig unterstützen können, ist es elementar wichtig, mehr Traumainformiertheit und mehr Stress- und Traumakompetenz in eine Gesellschaft zu bringen. Dann entwickelt sich eine wirklich starke Zivilgesellschaft mit starken Menschen, die auch herausfordernde Dinge meistern können. Insofern ist es ganz wichtig, diese Kompetenz in die Gesellschaft zu bringen, damit die Ukraine durchhält, damit die Ukraine es schafft, sich ihr vollständiges, unabhängiges Land zurückzuholen. Und vor allen Dingen, damit die Ukraine es schafft, eben auch nach dem Krieg aufzubauen, neu zu bauen, zu strukturieren und ja, sich zu einer demokratischen Gesellschaft zu entwickeln, in der Menschen sich selbst realisieren können.
Ira: Eine starke Zivilgesellschaft braucht also Menschen mit einem widerstandsfähigen Nervensystem, die Herausforderungen meistern können. Dafür ist ein breites Verständnis über Traumata und ihre Bewältigung essenziell. Das psychosoziale Unterstützungsprogramm von Libereco hilft dabei, diese Ressourcen zu stärken und das nötige Wissen zu vermitteln.
Imke: Die Unterstützung, die die besonders betroffenen Menschen brauchen, das ist ja das, was wir und viele andere Organisationen versuchen, vor Ort zu leisten, und wir brauchen dafür Ressourcen. Das heißt, wir brauchen vor allen Dingen Geld. Mit Spenden an Libereco oder an andere kleine Organisationen, die sich wirklich vor Ort mit der Hilfe direkt befassen, kann man sehr viel ausrichten. Es ist wahnsinnig wichtig, jetzt zu spenden. Und es ist wahnsinnig wichtig jetzt quasi auch Verantwortung zu zeigen, dass wir in Europa füreinander einstehen und Keinen zurücklassen.
Ira: Die Trainings von Libereco sind auch wichtig, weil sie traumatisierten Soldaten dabei helfen, ihre Kriegserfahrungen zu verarbeiten und wieder in ein normales Leben zu finden. Diese Hilfe ist dringend nötig, denn Traumata können sich generationsübergreifend auswirken, wenn sie unbehandelt bleiben. Langzeitstudien an Holocaust-Überlebenden etwa belegen, dass sogar Enkel ehemaliger KZ-Häftlinge unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden können – obwohl sie die Schrecken der Gefangenschaft selbst nie erlebt haben. Sie können die Arbeit von Libereco, Vitsche, dem Tolerspace in Kyjiw oder dem Verein „Kontakte-Kontakty“, der NS-Überlebenden hilft, mit einer Spende unterstützen. Die Links packen wir in die Shownotes. Vielen Dank an unsere Gesprächspartnerinnen dieser Folge. Mich haben ihre Geschichten sehr berührt und inspiriert. Ich nehme daraus viel Kraft und werde wohl nie Oleksandras Spitznamen vergessen.
Oleksandra: Man nennt mich Alexandra, die Siegerin – unter keinen Umständen aufgeben. Also kämpfte ich mich durch. Ich habe immer versucht, viel zu lernen und so habe ich es im Leben immer irgendwie geschafft. Die Leute erkannten meine Zielstrebigkeit, kamen mir entgegen und haben mir so gut es ging geholfen.
Ira: Das war Trümmer & Träume, ein Podcast der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Wenn Sie das Team hinter dem Podcast und mehr über die Stiftung erfahren möchten, kommen Sie am 11. März an unseren Stand bei „Café Kyiv“ im Berliner Collosseum vorbei! In der nächsten Folge sprechen wir darüber, wie sich junge Menschen in der Ukraine auch in Kriegszeiten engagieren und welche Bedeutung der internationale Jugendaustausch hat. Ich nehme Sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit und teile meine sehr prägende Erfahrung mit einem Sprachaustausch in der Ukraine. Mehr über die Projekte der Stiftung finden Sie unter www.stiftung-evz.de. Hat Ihnen die Folge gefallen? Dann teilen Sie sie, um die Ukraine noch hörbarer zu machen.
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